Griechenland II: Wunderländer

Die Landschaft der Maní raubt den Atem: rau, gewaltig, spektakulär. Meer, Erde und Himmel treffen hier aufeinander. Es wundert nicht, dass an solch einem Ort Mythen von Helden, Göttinnen und Göttern entstehen. Zwischendrin liegen verstreut Dörfer und Weiler, gekennzeichnet durch ihre kantigen Wehr- und Wohntürmen aus massivem Stein. Zeugen einer wenig friedlichen Vergangenheit. 

Die wilde, weite Landschaft der Maní

Die Maní, das ist der „Mittelfinger“ der Peloponnes. Eine hohe Bergkette zieht sich bis zu seiner Spitze. Über all die Jahrhunderte haben die großen Imperien — Byzantiner, Osmanen, Venezianer — vergeblich versucht diesen Landstrich und seine Leute zu unterwerfen. 

Erster Stopp unserer heutigen Rundfahrt ist der Fischerort Gerolimánes. Es ist Vormittag und Herbst, der Ort ist verschlafen. An ein paar der zahlreichen Tischen der Tavernen sitzen ein paar Einheimische. Hunde dösen vor sich her. Aus einem Radio plärrt Musik und das Meer schimmert türkis. 

Kleine Straßen führen durch noch kleinere Orte quer über diese majestätische Landschaft. Überall erheben sich verlassene Häuser und Türme. Landflucht. Manches Gebäude ist hübsch für Touristinnen und Touristen hergerichtet. Das alte Vathia ist ein besonders beeindruckendes Dorf, wie es hoch oben auf dem Berg über dem Land thront. Doch nur noch ein halbes Dutzend Menschen leben hier. Wenige Häuser beherbergen Pensionen oder Ferienwohnungen. Doch der überwiegende Teil des Ortes ist verlassen und verfällt, was eine gewisse Schönheit in sich trägt. Die Türme und Ruinen stehen dicht an dicht, einer Trutzburg gleich. Der Mensch zieht sich hier zurück und wir staunen.

Das verlassene Dorf Vathia hoch über der Küste

Wir fahren bis ganz in den Süden, zum Kap Ténaro, diesem — wie es heißt — südlichsten Zipfel europäischen Festlands. Weiter geht es nicht. Wir parken neben einigen anderen Mietwägen, Campern und einer fröhlich grunzenden Schweinefamilie, die zwischen trockenem Gestrüpp nach Essbarem gräbt. Zu Fuß folgen wir einem holprigen Wanderpfad, grüßen dort eine Handvoll Touristinnen und Touristen aus halb Europa. Pferde grasen vor der gewaltigen Kulisse eines blauen Himmels und des weiten Meeres. 

Nach etwa 45 Minuten erreichen wir das Ende. Ein kleiner Leuchtturm reckt sich in die Höhe. Es pfeift ein kräftiger Wind. Vor uns nur noch Meer, Wolken, Horizont. Lange bleiben wir nicht, dafür ist es zu ungemütlich. Es ist, als wolle der Wind diesen Ort für sich behalten; er verscheucht uns. Zurück zum Parkplatz, wo wir noch die Grundmauern eines einstigen Heiligtums mit verblüffend gut erhaltenen Bodenmosaiken sehen. 

Ein weißes Pferd grast vor dem weitem Mittelmeer
Kap Tenaro mit Leuchtturm

Über wilde Serpentinenstraßen geht es wieder gen Norden. Gnädigerweise gibt es kaum Gegenverkehr. In einem farblosen Fischerort machen wir einen letzten Halt. Dort kommen wir mit einem frischen Rentnerpaar aus Heilbronn ins Gespräch, die mit ihrem Camper noch die letzten schönen Herbsttage auf Reisen ausnutzen. Sie wollen bleiben, so lange das Wasser noch warm genug sei.

Durch weite, einsame Bergtäler fahren wir quer über die Halbinsel in den mit ein paar hundert Menschen größten Ort, Aeropoli. Abseits der schmucklosen, vielbefahrenen Hauptstraße erstreckt sich eine hübsche Altstadt mit zahllosen Cafés und Lokalen in den engen Gassen, die sich langsam füllen. Auf einer Dachterrasse mit wunderschöner Aussicht über Häuser, Meer und Sonnenuntergang essen wir gut zu Abend – auch wenn der Wind an uns zehrt. Kirchenglocken läuten. Eine kleine Gruppe von Menschen aus ganz Europa versammelt sich. Die Sonne erlischt im Meer. Wir teilen diesen Moment gemeinsam. 

Das Eis kurz bevor es in den Ouzo plumpst

Zurück in unserem kleinen Hotel an dieser hübschen Bucht sitzen wir noch draußen, trinken Ouzo und Bier. Auf dem Strand feiert eine junge Gruppe aus Deutschland den Abschluss mehrerer anstrengender Tage Radfahrens. Musik erschallt, ein Lagerfeuer reckt seine Flammen in die Höhe, und das Meer rauscht in der Nacht…

Monemvasia

Sanft schlagen kleine Wellen gegen den rostigen Bug der „Demetrius“. Rost, überall Rost. Der Rost frisst riesige Löcher in die Metallwände. Das Skelett des alten Frachters liegt offen da. Man sieht einfach hindurch, auf die offene See. Wo noch Wände geblieben sind, haben Sprayer ihre Spuren hinterlassen. Beach Art.

Seit 40 Jahren liegt das Schiff verlassen an diesem weiten Strand nahe des malerischen Fischerörtchens Gythion. Mit jedem Jahr verschwindet es ein Stückchen mehr, bis irgendwann eines fernen Tages nichts mehr von ihm übrig sein wird. Das Wrack macht sich hübsch an diesem herrlichen Sandstrand. Es ist Ende Oktober und ich stehe im warmen Wasser vor dem alten Schiff. Gerne wäre ich noch geblieben, neben den Familien und Paaren, die sich hier sonnen, doch wir wollen weiter. Durch weite Orangenhaine geht es in Richtung Osten. Es ist Erntezeit. Tonnenweise liegen die Früchte auf offenen Anhängern. 

Unter Monemvasia hatte ich mir nicht viel vorstellen können. Umso größer daher vielleicht meine Verblüffung: Nachdem wir unsere Pension am Hafen bezogen haben, spazieren wir über einen langen Damm hinüber zu einer gewaltigen Felseninsel, auf der die Reste einer weitläufigen Festung thronen. Wir gehen die vollgeparkte Straße entlang; zu unserer linken geht es steil nach oben, zu unserer Rechten glitzert das Meer.

Nach etwa einer halben Stunden Fußmarsch erreichen wir eine unscheinbare, alte Mauer und ein kleines Tor. Als wir hindurchschreiten, betreten wir ein Wunderland. Monemvasia war einst ein wichtiger Ort im Byzantinischen Reich. Dann kamen die Venezianer, die diese Stadt wiederum an die Osmanen verloren… und dann, über die Jahrhunderte, geriet Monemvasia langsam in Vergessenheit. 

Doch dann kam neues Leben: Pensionen, Ferienwohnungen, kleine Boutique Hotels. Tavernen, Cafés, Kunstgalerien. Wir spazieren durch uralte Gassen, verlieren uns im Gewirr. Kommen vorbei an Ruinen und herrlich hergerichteten Häusern. Die Stadtmauer umschließt immernoch stolz ihre Stadt. Unter ihr baden Menschen an einigen felsigen Badestellen. Auf der Terrasse eines kunstvoll-stylischen Cafés bestellen wir kühle Getränke und Kuchen. Der Blick reicht über die alten Häuser, die weite Bucht und die tief stehende Nachmittagssonne. Katzen betteln gekonnt bei den vielen Gästen um Aufmerksamkeit. 

Weiter durch die Gassen. Man verliert sich. Der Ort ist in der Zeit festgefroren, oder? Wie viel ist hier „echt“, nachdem der Tourismus die Stadt für sich entdeckt hat? Was ist echt überhaupt? Ohne die Hotels und Restaurants und Touristen würde die Häuser und Mauern nur zu einem weiteren Ruinenfeld, von denen es doch im an Geschichte reichen Griechenland so viele gibt. 

Vom Platz vor der alten Kathedrale aus betrachte ich, wie die Schatten länger werden. Die Sonne geht hinter den Bergen in meinem Rücken unter. Zuerst ist das Licht golden und orange, schließlich violett und blau. Es wird frisch. 

Wir gehen essen: In einem alten Handelskontor hat sich diese moderne Taverne mit offener Küche niedergelassen. Es ist verblüffend, wie gut wir essen. Die Köche experimentieren mit der griechischen Küche und setzen uns kreative Variationen von altbekannten — das wir auf dieser Reise ja auch so oft genießen! — vor. Wir sind begeistert. Allein dafür hat sich Monemvasia gelohnt… und der Ort ist ja so viel reicher.

Es fühlt sich an, als kehrten wir in die Wirklichkeit zurück, als wir über die Straße zurück aufs Festland gehen. Der Vollmond steht hoch. Das alte Monemvasia ist vom Festland aus nicht zu sehen. Waren wir wirklich dort? War es ein Traum?

Sonnenaufgang über Monemvasia

NAFPLIO

Es regnet tatsächlich. Mal stärker, mal schwächer. Zur Abwechslung schüttet es auch mal. Direkt am Hafen von Nafplio weht ein unangenehmer, nass-kalter Wind. Wir haben uns in eines der vielen, stylischen Cafés in den Gassen der pittoresken Hafenstadt zurückgezogen. Die Kellnerin bringt heiße Schokolade, später noch ein Bier. Auf einem Tisch im oberen Stockwerk liegt – die Szenerie überblickend – ein schwarzer Kater, wohl der Herr des Hauses. Die Musik im Hintergrund ist angenehm; es lässt sich hier aushalten. Die letzte Etappe unserer Griechenland-Reise ist angebrochen. 

Der Hauptplatz von Nafplio mit Blick auf den Burgberg

Nafplio ist, das wird sich später noch bestätigen, ein fast schon bilderbuchhafter Mittelmeerort mit hübscher Altstadt. Die erste Hauptstadt des modernen Griechenlands, wie wir lesen. Boutiquen und Souvenirläden säumen die Straßen, die Lokale und Bars wirken frisch hergerichtet, mit Instagram im Hinterkopf gestaltet. Am Hauptplatz gibt es außerdem ein sehr kleines, doch feines Museum, in dem uralte, mykenische Stücke ausgestellt sind.

Die Pension, in der wir unterkommen, liegt unterhalb des mächtigen Burgbergs, der über die weite Bucht wacht. Ganz oben unter dem Dach ist unser Zimmer, mit Terrasse und großartigem Blick über die Altstadt.  

Nicht weit liegt Mykene, dieser mythische Ort. Seit dreieinhalb Tausend Jahren thront diese gewaltige Burg wunderschön zwischen hohen Gipfeln über der Ebene; das Meer schimmert in der Ferne. Mächtig erheben sich die uralten Mauern – kein Wunder, dass sich spätere (und doch schon so lang vergangene) Generationen erzählten, Zyklopen hätten sie aufeinander geschichtet. 

Mykene bleibt für mich merkwürdig entrückt: Zu lange mag ihre Zeit her sein, zu wenig vom Leben der Menschen jener fernen Tage ist geblieben. Stattdessen sehe ich ein gewaltiges Trümmerfeld, welches schon zu römischen Zeiten die Touristen anlockte. Homer sei Dank. 

Ein einsames Boot im tiefblauen Hafenbecken von Nafplio

Für den letzten Nachmittag klart der Himmel auf. Nafplio erweist sich nochmal als besonders bezaubernd. Ich sitze in einem Café am türkis-glitzernden Hafenbecken. Der Service ist wenig ambitioniert, aber sei’s drum: ich will ja nur sitzen und auf’s Wasser kucken…



zu Teil 1.


Ein Kommentar zu „Griechenland II: Wunderländer

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s