Ich sitze am Steuer unseres Mietwagens, links von mir das Meer. Es ist Mitte Oktober, ich habe Geburtstag, und gerade bin ich mit einer Reisebegleitung in Athen angekommen. Immer wieder blitzt eine neue Nachricht auf dem iPhone auf. Die Einreise im Impfnachweis ging rasch und einwandfrei. Wir holten unser Auto ab und nun sind wir auf dem Weg nach Süden, hinüber auf die Peloponnes.
Die Stadtviertel Athens lassen wir zurück. Auf dem Wasser der weiten Bucht liegen dickbäuchig die Frachter. Am Kanal von Korinth halten wir, wie wohl alle Touristen, die ihn überqueren. Der Flecken wirkt wie ein Gewerbegebiet. Doch der enge Kanal, im 19. Jahrhundert tief in den Fels gehauen, beeindruckt. Von der eisernen Brücke blicke hinab auf die weit unter mir liegende Wasserstraße; mir wird schwindelig. Zurück ins Auto, weit haben wir’s ja nicht mehr.

Die Nacht verbringen wir in einer einfachen Pension, in der uns die Wirtin herzlich willkommen heißt. Vom Balkon aus blicken wir über Alt-Korinth, ein schlichtes Dorf, wo einst eine Metropole stand. Nahe der Ausgrabungsstätten gibt es eine kleine Fußgängerzone mit einigen auf Touristen ausgerichteten Lokalen. Der Tag war lang, seit 6 Uhr sind wir unterwegs, so essen wir früh und lang und der schwere Rotwein macht den Kopf so leicht und übermütig.
Am nächsten Morgen besuchen wir die Ruinen: Das Herz des antiken Korinth ist zugänglich. Grundmauern und vereinzelte Säulen zeugen von der einst prächtigen Großstadt, die schon in hellenistischer Zeit bedeutend war zu wahrer Blüte dann unter Rom kam. Von hier aus herrschte ein Praetor im Namen des fernen Kaisers über ganz Griechenland. Unsere Schritte führen uns vorbei an den Überresten alter Tempel, über Plätze und Straßen und schließlich auf das weitläufige Forum, zu dessen Besuchern auch schon der Apostel Paulus zählte. In meiner Fantasie erhasche ich flüchtige Blicke auf diese lang vergangene Zeit. Ein kleines aber feines Museum hilft, das Gesehene in Kontext zu bringen.

Hoch über der alten Stadt erhebt sich der einstige Burgberg, auf den heute dankenswerterweise eine Straße führt. Wir parken und durchschreiten über brüchiges Kopfsteinpflaster die mächtigen Tore und Mauern. Die Festung, die wir sehen, ist aus byzantinischer Zeit. Doch schon in der Antike suchten Menschen hier Schutz – und Vergnügen: Ein Aphrodite-Heiligtum zog die Gläubigen den beschwerlichen Weg auf den Berg hinauf, um den Segen der Göttin zu erhalten und die Bekanntschaft der hiesigen Tempelprostituierten zu genießen… Der Blick herab über die wilde Landschaft aus Bergen, Ebenen und den beiden Meeresarmen ist bildschön. Heute wie schon vor 2.000 Jahren.

Diese Landschaft lass ich vom Beifahrersitz aus vorbeiziehen: Viele lichte Wälder, unzählige Olivenhaine (von denen wir in den nächsten Tagen noch so, so, so viele mehr sehen werden), vereinzelt Bauernhöfe und Dörfer, aber auch die hässlichen Wunden von Waldbränden auf den Berghängen.
Dann sind wir am Meer. Die Sonne steht schon tief. Der weite Sandstrand ist nahezu menschenleer. Wir gehen durch die sanfte Brandung, überqueren einzelne, kühle Bäche. Wie kann dieser stille Ort bloß existieren? Irgendwann drehen wir um, außer einem weiteren Parkplatz haben wir an diesem Strand nichts gefunden.
OLYMPIA
Die Straße führt durch eine liebliche Landschaft: Hänge mit hellgrünen Wäldern. Bäche mit weiten, schilfbestandenen Auen. Riesige Wolkenberge ziehen über den tiefblauen Himmel. So gelangen wir in das heilige Olympia.
In einem hübschen Café frühstücken wir reichlich. Am Nebentisch scheinen Amerikaner zu sitzen, was im zweiten Corona-Jahr einfach noch auffällt. Wir zahlen und gehen hinüber in die Antikensammlung. In ihrer Aufmachung kommt diese arg altbacken daher. Doch die wundervollen Stücke, die wir sehen, machen dieses Manko wieder wett: Stolz erhebt sich das Standbild der Nike, steht anmutig Apollo im Raum, zeigen sich die weichen Gesichtszüge des Kaisers Hadrian. In über tausend Jahren sammelte das Heiligtum zahllose Reichtümer an, gespendet von Pilgern und Gönnern aus der ganzen hellenistischen und später römischen Welt.



Die Ausgrabungsstätte selbst ist ein weites Trümmerfeld, atemberaubend schön in einem Tal gelegen, einer gepflegten Parklandschaft gleich. Wir stehen vor dem 2.600 Jahre alten Altar der Hera. Genau am Vortag haben hier vor laufenden Kameras in Priesterinnen-Gewändern gekleidete Frauen wie alle zwei Jahre die Olympische Fackel entzündet. Knapp haben wir es verpasst; vermutlich ist das besser so. Das Feuer ist nun auf dem Weg nach Beijing, zu den nächsten Winterspielen.
Die ganze Anlage beeindruckt; meine Gedanken wandern in diese längst verlorene Welt. Natürlich gehen wir die Fläche des alten Stadions einmal auf und ab. Verblüffend schlicht ist dieses Stadion gehalten. Die Zuschauer (und bis auf eine Priesterin waren es zu den Olympischen Spielen wirklich nur Männer) feuerten von grasbewachsenen Erdwällen aus ihre Athleten an. Vom Zeus-Tempel, der einst mit seinem Standbild des Göttervaters Heim eines der antiken Weltwunder war, sind nur Mauern und umgestürzte Säulen geblieben — eine einzige hat man vor gut 20 Jahren wieder aufgerichtet. Athleten aus der ganzen griechischen Welt versammelten sich hier einst. Über 4.000 Sieger muss es in der Geschichte der Spiele gegeben haben, von vielen ist der Name überliefert. Unsterblichkeit, auf ihre Weise.
Der Ort ist zauberhaft. Die Temperaturen sind angenehm mild, doch nach zwei Stunden in den Ruinen spüren wir doch die Kraft der herbstlichen Sonne. So gehen wir hinüber in das überschaubare Museum der Antiken Olympischen Spiele, welches ganz gut hinbekommt, die Geschichte und den Ablauf der Wettkämpfe zu erläutern.
Erschöpft spazieren wir im Anschluss noch durch das hübsch hergerichtete, doch verschlafene moderne Dorf Olimpia. Tatsächlich waren uns einige Reisegruppen begegnet – sogar von Kreuzfahrtschiffen, was ebenfalls im zweiten Jahr der Pandemie zu einem ungewohnten Anblick geworden ist. Doch der Nachmittag ist bereits vorangeschritten und die Busse sind wieder fort. In einer Taverne bestellen wir kalte Getränke — die wir schnell hinunterstürzen — Salat, Pita und Joghurt. Wir haben das Stadium erreicht, in dem wir den Schatten voll genießen.
Auf der Rückfahrt zu unserem Apartment holen wir in einem Supermarkt Getränke und Snacks für den Abend. Vom Balkon aus verfolgen wir, wie die Sonne langsam am Horizont verschwindet.
MESSENE
Das antike Messene verschlägt mir die Sprache: Beeindruckend schön liegen die Ruinen an einem weiten Hang; der Blick schweift endlos in die Ferne über grüne Ebenen und das schimmernde Meer.
Das Ausgrabungsgelände ist riesengroß. Vor rund 2.200 Jahren muss diese Stadt gigantische Ausmaßen gehabt haben. Auf den mehrere Kilometer entfernten Hügelketten sehen wir die Reste der mächtigen Stadtmauern. Atemberaubend.
Heute ist die Gegend verlassen. Nur ein kleines Dorf klammert sich an die Straße knapp oberhalb der Ausgrabungen. Messene scheint abseits von allem zu liegen. Damit auch von den ganz großen Besucherströmen…

Mehr als zwei Stunden erkunden wir das einstige Zentrum der Stadt, welches sich terrassenförmig den Hang hinunterzieht: Da ist der riesige Platz der Agora, das Theater für 15.000 Zuschauer, die Säulen der alten Markthalle, in deren Mitte man noch durch den Stein sieht, wo einst die Schlachter das Vieh anbanden. Vorbei an den Ruinen des weitläufigen Äskulap-Heiligtums, an den römische Villen mit wunderbar erhaltenen Bodenmosaiken angrenzen. Schließlich das spektakuläre Stadion, welches sich perfekt in die idyllische wie weite Landschaft einfügt.




Mein Kopf dreht sich, mir wird alles zu viel. Diese ganze Schönheit, diese ganze Geschichte des Ortes – das zu fassen, mag mir nicht mehr gelingen. Ich bin begeistert und ausgelaugt zugleich. Ein Ort, den ich mir schöner nicht hätte erträumen können.
zu Teil 2.
Danke so eine schöne Beschreibung ,hat mich das Land woher ich komme wunderschön präsentiert.
Was für ein schönes Kompliment, danke! :D