I. Nach Süden
Die Schleusen des Himmels stehen offen. Es regnet in Strömen. Wir fahren durch das österreichische Vorarlberg – eine einzige lange Straße, gesäumt von Supermärkten und Autohäusern.
Das Ziel heißt aber Italien, in Hoffnung auf Sonne und Meer. Die Entscheidung war kurzfristig gefallen. Noch 48 Stunden zuvor hatten wir zwei Wochen durch Frankreich fahren wollen. Doch die rasant steigenden Covid-Infektionszahlen zwingen uns zum schnellen Umdenken. Reisen im Spätsommer 2020. Was die nächsten Monate dann bringen werden, wissen wir noch nicht – aber die berechtigte Ahnung, dass es schwer wird, hängt über uns.
Nun also Italien. Auf unserem Weg kommen wir durch das kleine Liechtenstein. Neben einer Weide halten wir kurz, lassen frische Luft in das Auto, das uns meine Mutter freundlicherweise für diese Reise überlassen hat. Klatschnasse Kühe schauen uns neugierig zu. In der Vergangenheit war ich ja fast schon stolz, ohne PKW die Welt erkunden zu können. Dieses verflixte erste Corona-Jahr ist auch in dieser Hinsicht anders.
Weiter durch die Schweiz. Rund um die Landstraße herum wird es nun lieblicher – und anstrengender. Gefühlte Millionen von Kurven führen die Berghänge hinauf und wieder hinab. Immer wieder Regenschauer. Ich lenke, kurble, schalte, bremse, beschleunige, schalte, lenke, bremse und schalte wieder. Stunde um Stunde. So geht es über die Alpen, deren Gipfel wir vor lauter dicken Wolken nicht zu sehen bekommen.
Es geht über den Julierpass, das kleine Auto ist auf eine Höhe von 2.200 Metern geklettert. Neben uns brodeln die Bäche vor lauter Regenwasser. In unzähligen Strömen fließt es die Hänge hinab. Das Versprechen treibt uns an: Bald erreichen wir den Comer See. Italien. Urlaub.
Spät am Nachmittag sind wir kurz vor diesem Ziel, geschmeidig geht es Serpentinen hinab. Da: Straßensperrung. Knapp vor der Grenze, so kurz vor dem See, hat es da Straße überflutet. Es hilft nichts: Wir müssen die Serpentinen wieder hinauf, einen anderen Weg nach Italien finden. Zwei bis drei weitere Stunden wird uns das kosten. Dabei kommen wir durch St. Moritz und fahren den Bernina-Pass hinauf. 2.330 Meter.
Erschöpft – ich zumindest – erreichen wir Italien. Wir haben nichts gebucht. Über eine App finden wir eine günstige Pension im etwa eine Stunde entfernten Bergort Malonno.
Die Landschaft mit den dicht bewaldeten Tälern ist sicherlich großartig. Doch verbirgt sich diese hinter den Regenwolken, die uns nun quer über die Alpen begleitet haben. Die Pension ist freundlich, wir bekommen ein großes Apartment mit Wohn- und Schlafzimmer. Frühstück gibt’s in einem liebevoll eingerichteten, uralten Gewölbe. Zu Abend essen wir in einer einfachen doch sehr guten Pizzeria. Der Stress der Fahrt fällt ab. Wir sind in Italien.

II. Ligurien
Es geht hinaus aus dem Regen, weiter in Richtung Süden, zur Sonne. Am Lago d’Iseo posiere ich noch in Pulli vor der lieblichen Seenlandschaft. Unerfahren in Autoreisen, stellt sich das Tanken in Italien mit Self-Service-Terminal und Vorkasse als neue Herausforderung dar, in der wir in den nächsten zwei Wochen irgendwie dann doch Übung gewinnen.
Die Autostrada quer über die weite Po-Ebene mit ihren unzähligen Feldern. Die Sonne kommt hervor. Es wird heiß. Am Rasthof ziehe ich den Pulli aus und zwischen Autobahnrauschen und Benzingeruch tanzen Sonnenstrahlen auf der Nasenspitze. Dieses Gefühl stellt sich ein: Ich bin im Urlaub.
Wir wollen ans Meer. Die Autobahn führt wieder Berge hinauf, durch Tunnel und über waghalsige, riesige Brücken. Die wilde Landschaft um uns herum ist ein großartiges Schauspiel. Ein starker Wind lässt das Auto zittern. Und schließlich glitzert das Mittelmeer…
Zwei Nächte bleiben wir im ligurischen San Terenzo. Einen dieser kleinen, altmodischen italienischen Touristenorte mit Strandbädern und Eisdielen und weitem Blick über die See. Das Hotel ist einfach und dafür teuer. Egal. Wir sind hier.
So bummeln wir die Promenade an der bildhübschen Bucht entlang, die dank einer Reihe hier urlaubender englischer Dichter im romantischen Überschwang den Namen „Golfo die Poeti“ bekam. Im Nachbarort Lerici gönnen wir uns in einem Café unterhalb des Burgberges den ersten Aperritivo der Reise. Zu Abend essen wir in einem Lokal direkt am Wasser, es gibt Pasta. Ein silbervoller Mond spiegelt sich dazu im Meer.
Mit dem Boot wollen wir am nächsten Morgen in die Cinque Terre; diese atemberaubende Landschaft zwischen wilder See und Bergen, wo ein paar malerische Dörfer an den Hängen kleben. Doch die Boote fahren nicht. Das schlechte Wetter im Norden hat hier ebenfalls Spuren hinterlassen. Das Meer ist zu aufgewühlt. Also nehmen wir den Bus nach La Spezia und von dort aus den Zug nach Vernazza.
Vor ein paar Jahren war ich hier schon mal. Damals drängten sich die Touristenmassen durch die engen Gassen… in diesem Jahr 2020… ist es ruhiger. Immernoch hören wir verschiedenste Sprachen aus ganz Europa. Aber darüberhinaus wird’s stiller.

Wir wandern von Dorf zu Dorf. Nur wenige Menschen kommen uns entgegen. Hoch über der unter uns rauschenden Brandung geht es immer wieder vorbei an wagemutig angelegten Olivenhainen und Weinstöcken. Das Meer, der Himmel und die Wolken bieten ein dramatisches Spiel aus Blautönen.
Im Örtchen Corniglia essen wir an einem kleinen, schattigen Platz zu Mittag: Die Wirtin empfiehlt Lasagne mit Pesto und sie sollte Recht behalten. Am Brunnen neben uns trinkt eine Katze.



Die kurze Strecke nach Manarolo nehmen wir den Zug. Dort klettern wir wieder die Hänge empor, über 600 grobe „Stufen“ und dann wieder runter. Ich fluche; es pocht hinter meinen Schläfen. Und dann bin erstaunt, wie schnell das wieder so fern wirkt, als wir die Straßen vom Riomaggiore durchwandern – dem letzten Ort auf unserem heutigen Weg.
Neben der Bahnstation finden wir eine fast zu kitschig-schön gelegene Bar direkt über dem Meer. Das Sonnenlicht glänzt golden. Es ist ein Traum…
III. Toskana
Im Süden der Toskana. Der Blick schweigt hier über weites, sanft-hügeliges Land. Vögel zwitschern, irgendwo kräht ein Hahn. Nach mehreren Tagen auf Straßen machen wir heute… nichts. Nun, fast nichts. Urlaub. Es ist wunderbar friedlich.
Am Morgen waren wir – und zahlreiche Italiener – an einem nahen Wasserfall, der von heißen Quellen gespeist wird. Wir badeten, schauten uns die Menschen an. Jetzt klebt noch der leichte Schwefelgeruch der Quellen an uns. Immer mehr Menschen strömen herbei; uns wird’s zu voll. Auf dem Rückweg stoppen wir in einem dieser unzähligen malerischen Dörfer. In einem kleinen Laden kaufen wir Wein und Käse, Prosciutto und Pomodori, Brot und Süßes und von allem herrlich zu viel. Ein Schlaraffenland.

Mit diesen Schätzen sitzen wir vor dem alten Bauernhaus, wo wir zwei Nächte verbringen. Die Welt zieht an uns vorüber und das ist wunderschön. Der Wein beginnt den Kopf angenehm einzuhüllen. Eine der vielen jungen Katzen des Hauses leistet uns neugierig Gesellschaft. Alles ist nahezu perfekt. So verstreichen die Stunden…
Der gestrige Tag kam einem Traum gleich: Endlos fuhren wir über sich malerisch windende Landstraßen durch die Toskana; vom Norden bis hierher in den Süden. Die Landschaft mit ihren romantischen Dörfern, einsamen Häusern, Zypressenalleen, grünen Wäldern, dramatisch-braunen Feldern und Kontrasten (da es schon spät im Jahr ist), Weinstöcken, Bergen und dem grenzenlosen Himmel darüber – das alles berauscht und lässt staunen. Ein Land schön wie ein Gemälde.

Halt machten wir in San Gimignano, mit seinen wagemutig in die Höhe ragenden mittelalterlichen Türmen. Einen davon besteigen wir, oben sind wir ganz allein und schauen über die Dächer der Stadt und das weite, so liebliche Land. Ein Genuss, der das Herz so erfreut. In einem Café auf einer kleinen Piazza essen wir eine Kleinigkeit, die Mittagssonne brennt. Dann weiter über diese verflixt schönen Straßen. Wir fahren nicht, wir gleiten. Weiter nach Pienza, auch wieder hoch oben auf einem Hügel gelegen, und vor 800 Jahren von einem dieser vielen Päpste reich ausgeschmückt.
Zuletzt geht es durch das Val d’Orcia, mit seiner dramatischen Schönheit und häufig menschenleeren Weite. Die Schatten werden lang. Eine kleine Straße führt uns durch dicht-grüne Wälder. Wildscheine schauen uns verdutzt wirkend nach.
Wir kommen an; in der „Maremma“ – diesem südlichsten Teil der Toskana. Das Bauernhaus mit seinem agriturismo, dieser sympathischen Variante von Fremdenzimmer, ist romantisch-alt; genau wie wir es uns erträumt haben. Nachdem wir uns eingerichtet haben lockt uns der Hunger ins benachbarte Dorf und dort in das einzige Wirtshaus: Die „Trattoria La Poste“. Wir erwarten nicht viel und staunen, wie falsch wir damit liegen konnten. Gang für Gang bringt der lustig-quirlige junge Kellner an unseren Tisch: Antipasti mit einer verblüffend Art toskanischer Tempura – frittiertem Gemüse und frittierten Zitrusfrüchten, was unglaublich gut harmoniert. Es folgen Spinat-Ricotta-Tortellini mit Wildschwein-Ragout. Ein Gedicht, ein Geschmackserlebnis, eine Offenbarung. Dazu schmeckt der leichte Hauswein. Zuppa Inglese zum Nachtisch. Dann satt, Grazie. Was für ein Tag! Am nächsten Abend werden wir wiederkommen.
Berauscht-fröhlich spazieren wir zu unserem Bauernhaus zurück. Zikaden singen und über uns wölbt sich ein Ehrfurcht wie Staunen gebietendes Sternenzelt. Buena Notte. Wir träumen süß weiter.
Ein Kommentar zu „Italien zwischen den Wellen – Teil 1“