Shanghai: Mitreissende Megacity

Shanghai. Der Körper hat keinen Peil, wie spät es ist. Müde bin ich und aufgedreht zugleich. Ein mächtiger Jetlag, der mich noch einige Tage in dieser riesigen Stadt begleiten wird. Gerade komme ich an, lasse mein Gepäck in diesem kleinen Hostel am Rande zu den Gassen der Altstadt. Duschen, was frisches anziehen und dann raus auf die Straßen, wo es nun schon dunkel ist. Leichter Regen, die Luft dampft.

Die Schritte führen mich zum Fluss, zum legendären Bund. Hier ist viel Trubel, doch weniger als ich gedacht hätte. Vielleicht wegen des Wetters. Die prächtigen Bauten des frühen 20. Jahrhunderts glänzen, während am anderen Ufer des Huangpu-Flusses hell-funkelnde Giganten gen Nachthimmel streben. Benommen stehe ich staunend da.

Pudong bei Nacht
Die Häuser des Bunds bei Nacht


Am nächsten Morgen regnet es immer noch. Ein Regen, der sich mit der Zeit trotz Schirm durch alle Fasern bis tief unter die Haut frisst. Von der Stadt kenne ich noch so gut wie nichts und doch bietet sich heute eher ein Museum an. Von meinem Hostel sind es nur wenige Minuten bis zum People’s Square, der dichtgrüne Stadtpark im Herzen Shanghai’s. In einem eher langweiligen Bau versteckt sich dort das ausgezeichnete Shanghai Museum, dessen große Trümpfe seine klassischen chinesische Kunstwerke sind, die Jahrhunderte umspannen: Kaligraphie, Zeichnungen, Skulpturen, Bronzen, kleine Jade-Kunstwerke. Beeindruckend, schön, lohnt sich. 

Als ich rauskomme, hat sich der Regen gelegt. Am Abend eine Food Tour: etwas teuer, was für die ganze Stadt jedoch gilt. Unser Guide – ein junger Amerikaner, der in Shanghai Mandarin lernt und Tourismus Management studiert – führt eine kleine Gruppe aus amerikanischen, kanadischen und deutschen Touristen durch eine Reihe von Lokalen. Dort erwartet uns kantonesisches Barbecue, nach nicht viel schmeckende Qualle, genial-gebratenen Bambus, bombastische gebratene Nudeln und gegrillte Hasenköpfe, bei denen aber doch mein Magen streikt. Den Würgreflex bekämpfe ich gerade noch erfolgreich. Gehört auch zu solchen Touren, nehme ich an. Dafür holen wir dann als nächstes von einem Bäcker für Shanghai typisches Buttergebäck: Bei uns als „Schweineohren“ bekannt, tatsächlich von deutschen Bäckern nach China gebracht, wo man es heute freundlicher „Butterfly Wings“ nennt. Zum Abschluss verliebe ich mich in die hiesigen Dumplings, von denen ich in den nächsten Tagen noch Unmengen verschlinge. Gefüllt mit Schweinefleisch, Gemüse oder Krabbe, gedünstet, gebraten oder in Brühe gibt es die in dieser Stadt überall. Die Tour hat sich für mich gelohnt.

Kleine China-Sticker im Fenster


Der Regen hat sich am nächsten Tag völlig verzogen. Dafür dampft die Stadt enorm. Ich schwitze, schon früh am Morgen als ich durch die Altstadt hin zu den Yuan Gärten gehe. Alle Reiseführer sagten, sei zeitig da. Mein Jetlag spielt dem in die Karten. Und so warte ich eine halbe Stunde vor verschlossener Tür bevor ich eine Eintrittskarte kaufen kann. Die Gärten sind eine verblüffende Oase. Sie sind klein, doch nutzen ihren Platz perfekt aus mit verschlungenen Wegen, Steinskulpturen, versteckten Plätzen, Pavillons und Teehäuschen, Teichen, Hecken, Bäumen, kleinen Skulpturen. Schließlich stolpere ich in einen Innenhof an dessen Stirnseite eine große Bühne thront. Herrlich verloren fühle ich mich. Ein wenig genieße ich die Ruhe, doch schon bald drücken immer mehr Besucher in die Gärten, die Selfie-verrückt die Wege bevölkern. Mir langt das und ich verabschiede mich von diesem Ort, der gerade noch so zauberhaft war.

Ein Pavilion in den Yuyuan Gärten
Dekoration in den Yuyuan Gärten
Eine Katze in den Yuyuan Gärten
Das Teehaus an den Yuyuan Gärten
Passanten füttern Gänse vor einem Teehaus
Vor den Yuyuan Gärten


Daneben erstreckt sich der „Bazar“, was sich eher als Shopping Mall in chinesischer Architektur entpuppt. Ist das authentisch? Vermutlich nicht. Aber ganz hübsch ist das ja schon. In einem der Touristen-Geschäfte schaue ich einer jungen Frau zu, wie sie mit ihren Fingerspitzen hübsche kleine Zeichnungen in schwarzer Tinte anfertigt. Bei Starbucks – von dem es in Shanghai über 700 Filialen geben soll – hole ich mir einen Muffin und einen schockierend süßen Eistee. Damit setze ich mich auf ein paar Stufen und vertreibe mir ein wenig die Zeit. Die schwüle Hitze liegt jetzt schon schwer auf den Schultern. Zum Abschluss besuche ich den nebenan liegenden Tempel der Stadtgottheit, der sich als ganz hübsch und sehenswert erweist. Wobei: Shanghai ist keine Stadt der Sehenswürdigkeiten, auch wenn es neue Bauten schwer versuchen. Es ist das trubelige, moderne, teils chinesisch, teils europäisch geprägte Ensemble was an dieser Stadt so fasziniert – und was mich sehr schnell in Shanghai verlieben lässt…

Schirme in einem Geschäft
Das Shanghai Girl in einem Geschäft
Spielwarengeschäft


Ein paar Tage verbringe ich in Shanghai Disneyland. Dann ziehe ich um, in ein neues Hotel in Jing’an, hoch im 18. Stock mit Blick auf einen Tempel mit goldfunkelnder Pagode. Bei Nacht leuchten die Hochhaustürme. Wieder staune ich: der Blick aus dem Fenster erinnert an Science-Fiction-Welten. Irre diese Stadt.

Von meinem Hotel aus spaziere ich durch bunte Straßen, in denen sich alte Architektur aus Kolonialtagen mit modernen Riesenbauten abwechseln. Cafés und Restaurants reihen sich aneinander. Hier da mal ein Tempel. Küche aus allen Ecken Chinas, dazu italienische, französische, japanische, koreanische, amerikanische, mexikanische, kanadische, spanische Lokale. Selbst ein Paulaner Wirtshaus gibt es in der Stadt. Und trotz zahlreicher Expats sitzen hier an den Tischen mitnichten nur Touristen, Europäer und Amerikaner… An zig bekannten Ketten komme ich vorbei: Apple, Gucci, Zara, H&M, Uniqlo, Versace. Viel Luxus. Der Eindruck wächst, dass die Untertanen mit Konsum glücklich gehalten werden – und das erschreckend erfolgreich. Wie es wohl abseits von Shanghai aussieht? Wie in den kleinen Wohnungen? Überall sehe ich Menschen, die gedankenvergessen in ihre Smartphones blicken, die hier das Werkzeug für alles zu sein scheinen. Zum Zahlen, Bestellen, Orientieren, Konsumieren. Shanghai ist verblüffend weit im 21. Jahrhundert. Das riesige U-Bahnnetz bringt mich bequem und komfortabel durch die Megastadt.

Hochhäuser hinter dem Jade Buddha Tempel
Buddhas im Jade Buddha Tempel
Laternen im Jade Buddha Tempel
Blumenverkauf am Straßenrand


Mit der Metro komme ich auch nach Qibao. Ein Dorf, das von der riesigen City verschluckt wurde – und überraschenderweise überlebt hat. Nun drängen sich durch die engen Gasse riesige Besucherströme, die in den unzähligen Lokalen Halt machen. Überall Essen in allen verrückten Formen. Dazwischen fließt träge ein grünlicher Fluss. Das könnte ganz nett sein.

Dumplings in Cartoon-Form


Zurück zum People’s Square. Dort betrete ich die Urban Exhibition Hall. Diese erzählt spannend die Geschichte Shanghai’s von einem kleinen Fischerdorf hin zum nach dem Opiumkrieg erblühenden Freihafen, in dem sich die damaligen Großmächte tummelten, und schließlich der Weg zur Megacity des 21. Jahrhunderts, mit rund 27 Millionen Einwohnern. Der Aufstieg ist schwindelerregend. Manchmal auch die arg propagandistische Beschriftung mancher Ausstellungsstücke. Immer noch sind wir in China. 

Das Model der Megacity in der Urban Exhibition Hall
Der People's Square in Shanghai
Nanjing Road mit ihren Leuchtreklamen
Die Hochhäuser von Pudong


Am Abend besuche ich den Shanghai Tower. Mit über 600 Metern der derzeit zweithöchste Turm auf diesem Planeten. Irre schnell bringt der Aufzug in knapp einer Minute mich hoch in die Aussichtslounge. Wo ich staunend über die diesige Megacity blicke. Die Sonne geht unter, die Lichter gehen an. Wohin ich blicke: Ich sehe nur Stadt. Ein Meer. Endlos. 

Dämmerung vom Shanghai Tower aus
Die Lichter der Stadt vom Shanghai Tower aus


Vor allem die sogenannte Französische Konzession hat es mir angetan: Ein weitläufiger Stadtteil, einst von Franzosen geplant, mit breiten Straßen, die links und rechts von schattigen Bäumen gesäumt sind. Fasziniert spaziere ich fast zwei Tage lang hier ziellos umher, kehre in hübschen Cafés ein, trinke Wein, lasse mich treiben. Im Keller eines Wohnturms besuche ich das herrlich-bizarre Propaganda Poster Museum, was eine wertvolle Geschichtsstunde gibt. Nicht weit entfernt ist ein kleines Kamera-Museum sowie eine französische Bäckerei. Viele alte typische Reihenhaus-Siedlungen gibt es in diesem Viertel noch. Ein Blick sind diese wert, auch wenn mich das Gefühl beschleicht, den Leuten hier etwas in die Wohnzimmer zu kucken. Zwischen den Häusern hängt teils Unterwäsche zum Trocknen. 

Die Straßen der Französischen Konzession
Eine Chinesin schießt ein Selfie
Sonnenschirme sind über die Gasse gespannt
Streetart in Shanghai


Eine meiner letzten Stationen ist der Longhua-Tempel mit seiner jahrhundertealten Pagode. Hunderte Menschen tummeln sich um mich herum, sie beten mit Räucherstäbchen in den Händen.

Pagode in Shanghai
Gebet im Tempel
Räucherstäbchen über Feuer


Dann treffe ich einen alten Bekannten. Die Welt ist klein, Zufälle gibt’s. Er ist für ein Auslandsseminar seiner Uni für zwei Wochen in Shanghai. Wir streifen durch die Straßen, kehren in einem Lokal ein und essen uns quer durch die Speisekarte. Als es dunkel wird fahren wir zum Bund. Dort sitzen wir im obersten Stockwerk eines Hostels in einer trubeligen Bar. Der Blick geht raus zu den Lichtern der riesigen Hochhäuser von Pudong. Ich trinke Whisky, die Bar ist ein Schmuckstück. Shanghai hat Geld. Jedenfalls mehr als ich, denke ich mir. Wir unterhalten uns, philosophieren, sind beide tief beeindruckt von dieser Stadt. Draußen fängt es wieder zu regnen an. Meine Woche in dieser Megacity geht zu Ende.

Shanghai hat mich mitgerissen. Zurück an den Flughafen, mit dem Maglev, der fast schon alt wirkt angesichts all der modernen Wunder in dieser Stadt. Als ich einige Stunden später am frühen Morgen über München fliege kommt mir meine Heimat so klein, so überschaubar vor. Weiter hinten leuchten die Alpen im Morgenrot. Immer noch bin ich berauscht von Shanghai…



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