Stromboli: Hallo Angst

Hoch schießen Feuerfontänen; dickflüssig, träge, launisch, verführerisch schön. Der Blick führt hinab in die Glut des Erdinneren. Pure Kraft dieses Planeten.

In diesem Augenblick jedoch habe ich keinen Sinn dafür. Da stehe ich, umringt von Freunden und dutzenden Touristen, am Kraterrand, und traue mich nicht, auch nur einen Schritt zu tun. Der Stromboli, dieser kleine Feuerberg vor Italiens Küste, ist zu viel für mich. Meine Grenzen sind erreicht; Dankeschön. Die von vielen anderen um mich herum… nicht. Was meinem Zustand nicht hilft.

 

Der rauchende und sehr aktive StromboliKirche mit dem rauchenden Stromboli dahinterDie kleine Insel Strombolicchio mit Leuchtturm

 

Dabei beginnt es wunderschön. An einem der zahlreichen Trekking-Anbietern unten im Dorf treffen wir uns am späten Nachmittag. Etwa 15 Leute aus halb Europa sind in unserer Gruppe. Der Guide ist alt, mit jugendlichem Schwung, hat graue Haare, eine sonnengegerbte tieffaltige Haut und heißt Mauro. Wir machen uns auf durch die Gassen des Ortes, der Berg zu unserer linken thronend, vorbei an kleinen Buchten und dann einen Serpentinenweg hinauf. Es geht durch blühendes Buschland. Golden glänzt bereits das Meer, das von hier aus so unendlich erscheint. Hoch über uns dampft der Vulkan. Es ist anstrengend, doch ich bin glücklich.

Ein gewaltiges, steiles Feld aus grau-schwarzer Asche erstreckt sich nach einer guten Stunde Wanderung vor uns; es reicht vom Gipfel bis hinab ins Meer. Von hier aus dürfen wir nur noch mit Bergführer weiter. Kurze Rast mit dickbelegten Schinken-Sandwiches und Keksen. Dann weiter, hoch, das Feld entlang. Teilweise klettern wir auf allen Vieren, mancher Stein ist locker. Rechts fällt das bisschen Weg krass ab in die Tiefe. Meine ambivalentes Verhältnis zu Höhen meldet sich mit einem lautfröhlichen „Hallo!“ – ich hab Schiss und von jetzt an wird’s nur schlimmer. Zurück ist keine Option. Auch andere in der Gruppe haben mit der Steigung und dem Weg zu kämpfen, doch in diesem Moment ist mir das egal. Die ganze Welt passt nun in meinen Kopf. 

 

Sonnenuntergang über dem MittelmeerSonnenuntergang über dem Mittelmeer von den Hängen des Stromboli gesehen

 

Daneben sinkt die Sonne so traumhaft spektakulär ins Meer: in goldenen, roten, unbeschreiblichen Tönen. Ein Traum, zum Weinen schön. Unten vor der Küste liegen Ausflugsboote und ein hellerleuchtetes, elegantes Segelschiff.

Ich greife nach dem nächsten Stein, und dem nächsten. Ziehe mich ängstlich empor. Übertreibe ich? Sicher. Mir ist das bewusst, doch ich steigere mich immer mehr hinein in diese Angst. Scheißegal ist mir alles. Der Wind bläst jetzt eisig; irgendwie ziehe ich mir einen Sweater über, greife zu meiner kleinen Taschenlampe, die ich mit einer Schnur eng um mein rechtes Handgelenk binde. Es geht noch weiter. Die letzten Meter durch Sand, ich sag kein Wort mehr.

 

Rot-aschiger Gipfelhang des Stromboli

 

Der Weg um den Krater ist breit, doch kaum dass wir stehen, bewege ich mich keinen Zentimeter mehr vor, zurück, nach links oder rechts. Mittlerweile ist Nacht. Im Zentrum des Kraters glüht der Vulkan und speit dickes Feuer. Ich sag weiter kein Wort, schieße Fotos. Weniger aus Spaß und Lust, mehr um zu Funktionieren, um irgendwas zu tun, um irgendwie Kontrolle über mich zu haben und um die Zeit zu vertreiben. Warum bleiben wir hier oben denn so lange?

Es ist ein Drama: Ein Naturschauspiel bietet sich da, ganz klein sollte ich mich vor so viel Macht unserer Mutter Erde haben. Doch ich bin in mir selbst gefangen, habe übertriebenen Schiss. Mauro fragt mich, ob es nicht wunderschön sei. Ich brumme zustimmend „Mhmmm“ und verfluche den Mann, weil ich gerade irgendjemanden verfluchen will. 

 

Feuerfontäne auf dem StromboliFeuer und Nacht auf dem Stromboli

 

Aufbruch, Abstieg, endlich. Fanden es meine Freunde toll? Anstrengend? Ich weiß es nicht, noch ist mir das egal, wobei ich mich vermutlich freuen würde, wenn jemand meine Panik mit mir teilte. Wie doof ist das denn, wie ich mich da anstelle? Immer noch sag ich kein Wort. Die kleinen Taschenlampen weisen uns den Weg hinab über ein weites Aschenfeld. Wunderbar sinken wir darin ein, wir hüpfen auf einer riesigen Düne. Hinter und vor mir laufen meine Freunde. Ich traue mich, durchzuatmen. Der Knoten löst sich, eine ganze Weile bleibe ich noch still. Unter uns die Lichter des Ortes mit seinen Hotels und Lokalen. Mit jedem Meter hinab wird die Staubwolke um uns herum dichter. Mein Halstuch wird zum Mundschutz; als ich mich später am Abend schnäuze ist das Taschentuch schwarz… Knapp zwei Stunden brauchen wir vom Gipfel hinunter in die Gassen des Ortes. Ich bin fertig, aber seltsam leicht ist mir nun zu Mute. Alles egal, ich bin unten.

War die Tour schwer? Vermutlich nicht. Kinder und Greise machen sie, jeden Tag. Aber Angst ist etwas hinterhältiges. Sie verschleiert den Triumph, den Vulkan erklommen zu haben; sie verschleiert die Schönheit des Moments. Hallo Höhenangst, du hast gezeigt was du kannst. So schnell müssen wir uns nicht wiedersehen. 

 

6 Kommentare zu „Stromboli: Hallo Angst

  1. Wie immer verstehst du es, deine tollen Fotos mit Worten zu begleiten, die ihnen so beeindruckend gleich auf sind, dass sie sogar bestehen könnten, würden die Bilder ausfallen.

  2. Hallo Tobias,
    ein schöner Bericht. Er bestärkt mich im Nachhinein noch darin, dass wir (meine Frau und ich) es seinerzeit vorgezogen haben, uns dem phänomenalen Schauspiel des Vulkans ganz bequem vom Meer aus zu nähern. Es werden Schifffahrten angeboten, die abends (wenn es dunkel genug für das Schauspiel ist) auf der Seite der Feuerrutsche (Sciara del Fuoco) auf dem Meer kreuzen. Es ist dies sicher nicht ganz so toll, als wenn man am Kraterrand steht, aber es waren alle überaus beeindruckt, die Lavafontäne und die hinunter ins Meer rutschenden glühenden Steine zu sehen. Ein Tipp also für alle Ängstlichen und diejenigen, die nicht so gut zu Fuß sind.

    1. Danke für den Tipp!
      Die zahlreichen Booote vor der Sciara del Fuoco konnte man von oben ganz gut sehen – das heißt, wenn man runterschauen wollte. ;)
      Ist sicher auch eine tolle Alternative sich dieses Schauspiel des Stromboli anzusehen!

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