Wir spazieren durch die Gassen von Ilha de Moçambique wie verzaubert. Goldenes Nachmittagslicht liegt über dieser kleinen Stadt – ein dicht bebautes Eiland ein paar hundert Meter vor dem mosambikanischen Festland. Kinder spielen in den Straßen, alte Männer sitzen gedankenverloren auf klapprigen Stühlen vor ihren Häusern, an der Bank scherzt ein Sicherheitsmann mit einem Bekannten. Irgendwo die Straße runter funkelt die tiefblaue Lagune.
Volle drei Tage waren wir hierher unterwegs: Von Malawi quer durch das Hinterland Mosambiks – mit seinen grünen Wäldern und Dörfern aus Stroh – bis zu diesem Ort am Indischen Ozean. Die lange, teils beschwerliche Reise war es wert… Zeitlos liegt Ilha de Moçambique da, verschlafen, fast vergessen.
Jahrhunderte regierten die Portugiesen von hier aus ihre ostafrikanische Kolonie. Das Städtchen schmückten sie dazu mit Palästen, Kirchen und Handelskontoren. Dann zogen die portugiesischen Herren in den Süden und machten das, was heute Maputo ist, zu ihrer Hauptstadt. Ilha de Moçambique blieb zurück… Wer es sich leisten konnte, verließ nach und nach diesen nun bedeutungslosen Ort. Viele der einst herrlichen Häuser begannen zu verfallen. Von manchen ist heute nur noch eine bröckelnde Hülle übrig.
Neues Leben versprechen die zahlreichen Boutique Hotels die in immer mehr Häuser einziehen. Es wird saniert, wo es nur geht. Wie viele Boutique Hotels Ilha wohl vertragen kann? Werden die ganzen Touristen auch kommen? Im Moment sind es nicht viele, die den Weg hierher gefunden haben. Dornröschen schläft ungestört weiter. Uns ist’s für den Augenblick recht.
Untergekommen sind wir bei Ruby’s – einem hübschen Backpackers’ Hostel in einem uralten Haus mit dicken Mauern, die angenehm kühl halten. In die zwei kleinen Innenhöfe dringt Licht. Und Ruby’s hat einen der schönsten Flecken auf unserer dreiwöchigen Reise durch Afrika: wann wir nur können sitzen wir auf der gleißend weißen Dachterasse. Unter schattenspendenden Bäumen frühstücken wir hier, trinken mittags Limo oder Bier und kommen mit den anderen Reisenden ins Gespräch. Eine Katze huscht über die niedrigen Mauern und Steinbänke. Auf dem Nachbardach trocknet Wäsche. Die Zeit steht still. Blüten wippen in der leichten Brise vom nahen Meer… ein vollkommener Moment.
An einem Morgen nehmen wir uns einen Tour-Guide und hoffen, dass von dem Geld auch was bei ihm ankommt. Mit kräftig-roten Post-Fahrrändern, die einst im Dienste der britischen Royal Mail standen, kurven wir über die Insel: Vor einem hübschen, gelb-getünchten Haus bleiben wir stehen. Es ist frisch renoviert, beheimatet heute natürlich ein Hotel sowie ein schickes Restaurant. Unser Guide erzählt. In der Vergangenheit haben Kaufleute in diesem Gebäude mit Sklaven gehandelt. Die Menschen wurden irgendwo in Mosambik oder Malawi aus ihrem Leben gerissen, in Ketten gelegt und ans ferne Meer getrieben. Die meisten verreckten unterwegs… An diesem Platz wurde der Rest verkauft und irgendwohin in das portugiesische Kolonialreich verschifft. Für einen Moment schweigen wird.
Weiter zum Markt mit seinen gusseisernen Verzierungen. Daneben steht der Eingang zum kleine, bescheidene Hindu-Tempel – das indische Goa war für die portugiesischen Kolonialherren nach Ilha de Moçambique der nächste Stopp … Das schneeweiße, alte Krankenhaus erinnert an einen Palast, auch wenn es Heute mehr einer Ruine gleicht. Doch immer noch heilen und operieren hier Ärzte. Von der brüchigen Freitreppe blicken wir direkt auf den Indischen Ozean, hinter uns weiße Säulen. Die Regierung wolle den Bau bald renovieren, meint unser Guide.
Hinter dem Krankenhaus beginnt schließlich Makuti Town: Kleine Hütten, viele unverputzt und mit rostigem Wellblech bedeckt. Die Gassen sind voller Leben, zwei kleine Minarette stechen hervor. Viele Straßenhändler, bunte Farben, lachende Gesichter, ein kleines Mädchen in Tränen – sie hat wohl den ganzen Morgen Muscheln am Strand gesammelt. Der Henkel ihres Eimers ist abgebrochen und die Muscheln liegen vor ihr im Staub. Kinder eilen herbei und helfen, ihren Eimer wieder zu füllen… ein älteres Mädchen versucht zu trösten…
Makuti Town liegt einige Meter tiefer als die portugiesische Altstadt. In weichem Englisch erklärt der Guide: Hier hätten die Arbeiter die Steine gebrochen, mit denen sie dann für die Europäer deren prächtigen Häuser bauen durften. Um den Steinbruch herum wuchs ihre Siedlung. Ihre Nachfahren leben noch heute hier. Kurz kommen Daniel und ich uns für den Zauber, den wir in den Altstadt-Gassen verspürt haben, blöde und etwas schuldig vor. Wie viele Menschen haben hierfür gelitten? Aber ändert das was an der Schönheit? Der Ort kann doch heute nichts mehr dafür, oder?
Wir radeln bis zur Südspitze, wo wir einen verwitterten Friedhof finden. Fein voneinander getrennt liegen hier Christen, Muslime, Hindus. Die Grabsteine erzählen viel von der Geschichte der Kolonien. Mir fällt der Name eines Engländers ins Auge, hier mit gerade mal 30 gestorben, der aus der britischen Kolonie Rhodesia – heute Malawi – gekommen sei. Sein Leben endete fern von Heimat und Familie…
Zurück in die Altstadt. Sind wir hier überhaupt noch in Afrika? Es ist so sehr Mittelmeer. Ein Ort zwischen Kulturen. In einem Gartenlokal essen wir zu Mittag und besuchen im Anschluss den stolzen Gouverneurspalast. Wir werden durch die Räume geführt. Afrikanisch scheint hier nichts. Eher wähnen wir uns in Porto oder Lissabon. In den Zimmern stehen verzierte Möbel aus dunklem Holz. Daneben sehen wir Schmuck sowie Vasen und Gemälde aus Goa und Macau … weitere Puzzle-Steine im portugiesischen Kolonialreich. Dieses Stück Geschichte wird hier das erste Mal bewusst… vorher hatte es mich nie berührt, wie so viele anderen Geschichten auch.
Abends sitzen wir auf der Terrasse eines feinen Restaurants direkt an der Lagune. Morgen werden wir Ilha verlassen, leider, da möchten wir uns etwas gönnen. Die Sonne versinkt über den Palmenwäldern des nahen Festlands. Noch können wir uns nicht entscheiden zu bestellen, trinken erstmal ein Bier. Da kommen fröhliche Stimmen um die Ecke: eine Gruppe junger Europäer, bunt zusammengewürfelt, die wir aus unserem Hostel flüchtig kennen. Franzosen, Spanier, ein Belgier, dazu noch eine Südafrikanerin, und wir. Alle Reisende, zufällig hier versammelt. Gemeinsam trinken wir und lachen. Dann schlägt Aurelien – ein sehr offenherziger Sozialwissenschaftler aus Paris – vor zum Abendessen in ein anderes Lokal zu ziehen.
Das „Karibu“ entpuppt sich als ein bildhübsches Restaurant, das Daniel und ich fälschlicherweise die ganzen Tage zuvor für ein Antiquitätengeschäft hielten. Dickbauchige Vasen und Amphoren stehen im Fenster. Wir essen hervorragend: ich bestelle ein butterweiches Rindersteak, dann noch Cheesecake. Daniel berauscht sich an Oktopus-Ragout.
Es wird ein wunderbarer Abend. Gemeinsam sitzen wir alle nach dem Essen am Pier, trinken Bier, das wir an einem kleinen Kiosk kaufen, und plaudern wild drauf los. Wir Europäer, hier an diesem kleinen, von der Zeit vergessenen Ort… Zum Abschluss landen wir noch in etwas, das wohl ein Beach Club sein soll. Wir sind die einzigen Gäste, Elektro-Musik liegt in der Luft, daneben das Rauschen der Wellen. Mitten im Club ist ein Pool, dessen Wasser grün schimmert. Ich trinke noch einen schlechten Gin Tonic, schaue auf die Sterne, bin müde und glücklich.
Morgen reisen wir weiter.
Ein Kommentar zu „Mosambik: Verzaubert auf der Insel“