Los Angeles (1)

Dezember 2012. Kein Zeitgefühl. Seit wie vielen Stunden sind wir in der Luft? Draußen ist jetzt Nacht, ich blicke aus dem Fenster: Unter uns ein Teppich aus Licht, der sich in der Ebene ausbreitet. Kleine Häuser und mit dem Lineal gezogene Straßen. Wir sind im Landeanflug auf Los Angeles.

Am Gepäckband die Ernüchterung: unsere Koffer fehlen, verloren gegangen beim elendigen Umsteigen in Philadelphia. Lächelnd reicht mir die United-Angestellte einen Plastik-Beutel mit Zahncreme, Shampoo und einem billigen Wechsel-T-Shirt. Ich bin hundemüde.

Wenigstens haben wir schnell unseren Mietwagen, die Straßen sind frei, in 15 Minuten sind wir in unserem Hotel in Hermosa Beach. Die Uhr sagt viertel vor eins als ich endlich ins Bett darf. Ab 4 kann ich nicht mehr schlafen. Scheiß-Jetlag.

 

Auf dem Weg nach Downtown Los Angeles

Wir frühstücken mit Blick auf den Pazifik. Bagels, Scrambled Eggs, Kaffee – alles in Wegwerf-Geschirr. Welcome to America. Der Himmel ist blau, der Wind frisch.

Von Los Angeles habe ich nur wenig erwartet: Eine Stadt ohne Herz, dafür mit vielen Autobahnen. Wir fahren nach Downtown – und hier schäme ich mich plötzlich all meiner Vorurteile L.A. gegenüber.

Die wenigen Hochglanz-Hochhäuser lassen wir links liegen, wir gehen den alten Broadway entlang. Wunderbare Art-Deco-Gebäude schmücken ihn, halb im Verfall begriffen. Zeichen einer goldenen Epoche: Dutzende ehemaliger Kinos und Theater, reich geschmückte Fassaden. In meinem Kopf sehe ich die 20er, 30er Jahre vor mir, als diese Straße glitzerte und fein angezogene Los Angelitos hier die Nächte durchfeierten. Heute, wenn die stolzen alten Gebäude nicht völlig verbarrikadiert sind, führen darin Latinos Krimskrams-Geschäfte. Schreiend bunte Tüll-Kleider, Marienbildnisse, viel Mexiko-Klischee.

 

Altes Theater am Broadway von Los Angeles

Einst Herz der Stadt: der Broadway von Los Angeles

Latino-Kleider in den Geschäften am Broadway, Los Angeles

Der Ort ist wunderschön und morbide zugleich, charmant wie eine alte Dame, die so gerne ihren jahrzehntealten, nun von Motten zerfressenen Pelzmantel anlegt.

Doch auch das ist Downtown L.A.: Die Walt Disney Concert Hall, feine moderne Architektur. Die strahlende Stahlwände erinnern mich an Segel im Wind, an zarte Blütenblätter, an leichtes Papier, das durch die Luft wirbelt. Versteckt und für alle zugänglich pausieren wir im Dachgarten des filigranen Konzerthauses.

Am nahen Pershing Square laufen derweil zahlreiche Menschen Schlittschuh. Wir sind in Südkalifornien, gerade erst war Weihnachten. Der Jetlag hat mich im Griff. Ich schleppe mich durch die Straßen, stehe neben mir, in einem Latino-Laden kaufe ich Cola. Spanisch wäre jetzt praktisch.

 

Die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles

Union Station, Los Angeles

Apropos Spanisch: Im Pueblo District drängen sich die Besucher. Es heißt, hier sei L.A.’s Altstadt. Ein kleiner Schuppen ist herausgeputzt. Das älteste Haus der Stadt. Drumherum ein mexikanischer Kitsch-Markt. An einem Food-Truck kaufen wir Burritos und ich Horchata – eine stark nach Milchreis-schmeckende Limo.

Nicht weit ist die Union Station, wieder so ein elegantes Art-Deco-Gebäude. Ich verfalle Los Angeles immer mehr. Doch verfalle ich dem, was Los Angeles ist oder war? Oder: sein könnte?

Kaum sitzen wir im Auto, schlafe ich auf der Rückbank ein. Wir fahren nach Venice Beach. Zum ersten Mal in meinem Leben stehe ich am Pazifik. Der Strand ist voller Volk. Sehen, gesehen werden. Muscle Beach ist da so ein Beispiel dafür. Kerle mit mehr Muckis als Klamotten am Leibe trainieren hier vor allen Leuten. Derweil joggen spindeldürre Frauen mit reichlich Make-up im Gesicht vorbei. Auf einem gewundenden Fahrradweg sausen Radler und Inline-Skater den Strand entlang. Viele durchgeknallte Typen, wohin ich auch blicke. Wie ein buntes Aquarium an Menschen.

 

In Venice Beach gibt's Gras gegen alle möglichen Wehwehchen

Ein paar Jungs laufen in Doktor-Kitteln herum und versuchen uns eine medizinische Beratung in einer der Praxen gleich hier im Strand aufzuschwatzen. In Kalifornien ist Marihuana legal, wenn ein Arzt seinen Attest dafür ausstellt, zum Beispiel wegen Burn-out und Stress. Und wer von uns ist denn nicht gestresst? Wir verzichten auf das Angebot.

Die Sonne senkt sich und verschwindet tiefrot im Pazifik. Plötzlich wird es kalt, wir fahren zurück zum Hotel. Für heute bin ich erledigt.

 

Venice Beach bei Sonnenuntergang

 

 

4 Kommentare zu „Los Angeles (1)

  1. Angekommen in Los Angeles… Den Pueblo District hab ich als „toll“ in Erinnerung, im Reisetagebuch nachlesend stelle ich aber fest, dass ich dem wohl recht Zwiegestalten wahrgenommen habe „Ganz nett. Ob’s die Rumfahrerei wert war, weiss ich nicht…“ An der Union Station bin ich damals mit dem Zug angekommen, und da die Busse gestreikt haben war mein Bewegungsradius sehr eingeschränkt. Zum Glück fuhren die Busse raus nach Santa Monica wo ich die letzen Tage meiner „mit-dem-Zug-von-Chicago-nach-LA“-Reise verbrachte.

    Los Angeles ist euer Start. Ich bin schon gespannt wie es weitergeht!

  2. Exakt das mit dem Koffer ist mir auf dem Flug nach LA auch passiert(seitdem habe ich einen leichten Handgepäck-Tick;-)). Zum Glück kann man sich am Beach sehr günstige Bikinis kaufen…

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s