Hiroshima, Tränen und Lächeln liegen nah beieinander

Ich kann nicht mehr anders: Tränen laufen die rechte Wange herab.

Da stehe ich vor einem rostigen Dreirad, und ich muss weinen.

Das Dreirad gehörte einem kleinen Jungen. Das steht auf einer grauschwarzen Tafel in Englisch. Er starb wenige Wochen nachdem über Hiroshima die Bombe explodierte. Ein kleiner, verbeulter Helm liegt neben dem Dreirad.
Eine Geschichte unter vielen.

Das Hiroshima Peace Memorial Museum ist ein Ort, an dem der Besucher sehr schnell sehr ruhig wird. Menschen schieben sich ganz leise durch die Räume des Museums. Darunter viele Schulklassen. 
Wir alle ringen um Fassung.

Das Museum erzählt gefühlvoll, ohne anklagenden Ton, den Weg der Stadt in den zweiten Weltkrieg. Japanischer Militarismus, das Manhattan Projekt im fernen Amerika. Dann der 6. August 1945. Die Atombombe fällt. Unfassbare Bilder, das Ausmaß erschütternder Zerstörung.

Modell der Zerstörungs von Hiroshima im Peace Memorial Museum, die rote Kugel in der Mitte zeigt Ort und Höhe der Atombombenexplosion

Damit endet es nicht: Tod und Leid folgten den Menschen Hiroshimas jahrzehntelang.
Anschaulich dargestellt ist auch die wahnsinnige Zahl der heute auf der ganzen Welt verbreiteten Nuklearwaffen. Ich zweifle am Menschen.

Was am meisten bewegt, das sind die persönliche Habe und die Spuren derer, die umkamen. Schuluniformen, zerfetzte Kimonos, Brotzeitdosen, die zerbrochene Brille einer Lehrerin, das Dreirad. 
Eine Taschenuhr blieb um genau 8:15 Uhr stehen. Der Augenblick, an dem die Bombe explodierte.

Das verrostete Dreirad und der verrostete Stahlhelm eines kleinen Jungen, der an den Folgen der Atombombe auf Hiroshima starb

Ich berühre Dachziegel, die vor lauter Hitze im atomaren Feuersturm kleine Bläschen geworfen haben. Mein Blick fällt auf eine steinerne Bank, und den eingebrannten schwarzen Schatten auf der Wand hinter ihr. Das ist alles, was von einem Menschen übrig blieb. Er verpuffte.

Nicht alle Opfer starben sofort. Viele erst Wochen, Monate, manche Jahre später. Kleine Papierkraniche zeugen von der Geschichte des Mädchens Sadako Sasaki. Als die Leukämie bei ihr überraschend einsetzte, begann sie Papierkraniche zu falten, in der Hoffnung, die Götter mögen sie gesund machen. Sie starb 1955 im Alter von 12 Jahren.

Das Museum kostet Kraft. Ich atme tief durch, als ich in den angrenzenden Park hinaustrete. Es regnet leicht. Wo heute tiefgrüne, große Bäume stehen war einst das schlagende Herz Hiroshimas. Kleine Gassen, Theater, Wirtshäuser. Genau hier explodierte die Atombombe.

Blick aus dem Peace Memorial Museum auf den angrenzenden Park, der Ruine des A-Bomb Domes und das moderne Hiroshima, bei Regen

Krähen suchen Schutz vor dem Regen im Friendenspark von Hiroshima

Einen knallgelben Regenschirm in der Hand, spaziere ich die Wege entlang. Ich komme am Denkmal für die verstorbenen koreanischen Zwangsarbeiter vorbei und läute schließlich die Friedensglocke, welche in einem Pavilion des Parks steht.

Am wunderbar bunten Children’s Peace Monument, das an Sadako erinnert, singen Kinder mit kristallklarer Stimme. Es ist schön, ich lächle. Ein tiefschweres Gewicht fällt mir vom Herzen. Zumindest ein kleiner Teil davon.

Säulen mit tausende von bunten Papierkranichen stehen um das Children's Peace Memorial in Hiroshima

Die Ruine des A-Bomb Domes in Hiroshima jenseits des Flusses

Ich will über die Brücke hinüber zum A-Bomb-Dome, dem Gerippe eines der wenigen Gebäude, welche nach der Verwüstung noch standen. Es war eines der Handvoll Häuser aus Stahl und Beton im August 1945.

Vier Schulkinder sprechen mich an, in mutigem Englisch. Sie haben einen Fragebogen dabei, den sie als Klassenprojekt für westliche Besucher aufgesetzt haben. Wie heiße ich, woher komme ich, ob ich mir eine Welt ohne Atomwaffen vorstellen könne (und ja, das will ich können). Was ich zum Erreichen von Weltfrieden empfehlen würde fragen die Kinder: “Meet people from all over the world.”
Dann fotografieren wir ein Gruppenbild.

Eine andere Schülergruppe sammelt für Unicef. Ich werfe einige Münzen in die Spendenbüchse, woraufhin hin mir ein mehrstimmiges, fröhliches “domo arigato goizamas” entgegenschlägt. Ich liebe diesen Moment.

Durch den Regen spaziere ich durch die neu aufgebaute Stadt. Über ihre breiten, begrünten Boulevards. Vorbei an der in den 50ern wieder aufgebauten Burg. Hiroshima ist freundlich, irgendwie nett, und gerne wäre ich länger geblieben.

Dann gehe ich zurück zu meinem Hostel, in der Nähe des Bahnhofs. Ich habe nasse Füße.
Morgen fahre ich weiter nach Kyoto.

–Mai 2013–

Alle Beiträge meiner Korea & Japan Reise 2013 findet Ihr hier.

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