Die Kinderschar im Museum
“You are very handsome.” Das Mädchen strahlt über das ganze Gesicht. Perplex bedanke ich mich artig. Werde ich etwa rot? Schon saust sie wieder davon, zu ihren kichernden Freundinnen.
Gruppen von Kindern, alle adrett in ihren Schuluniformen, sammeln sich immer und immer wieder um mich herum. Ich bin die große Attraktion hier im koreanischen Nationalmuseum. Ein Amerikaner, der eine ältere Dame im Rollstuhl vor sich herschiebt, fragt gar, ob ich der Lehrer der Kinder sei.
Nein, bin ich nicht. Ich besuche nur wie sie das Museum, das doch sehenswert ist. Die Kunst und die Geschichte ihres Landes scheint die Schulkinder im Moment wenig zu interessieren. Stattdessen stellen sie sich brav bei mir vor und ich tu mir schwer damit, ihre Namen zu verstehen und sie auszusprechen. Als Trost geht es ihnen mit meinem Namen nicht anders. Dass dieser so fremd sein könnte, kam mir bislang nicht in den Sinn. Mein Fehler.
Die nächste Frage: “Where are you from?” – “Germany”. Damit können die Kinder nicht viel anfange, so weit scheint ihr sonst schon recht elegantes Schulenglisch nicht zu reichen. Und ich weiß nicht, wie sich Deutschland auf Koreanisch nennt.
Ich kann mich von den Kindern trennen und esse einen Muffin im Museumscafé. Draußen nieselt es etwas auf die eintönigen Wohnhochhäuser Seouls.
Gangnam – in Erinnerung an YouTube
Nachmittags treffe ich Daniel wieder. Mit der U-Bahn überqueren wir den breiten, braun dahinfließenden Han-Fluß. Er teil Seoul in Zwei. Wir fahren nach Gangnam, das vor allem dank YouTube so bekannte Viertel. Die Straßen hier sind breit und aufgeräumt, die Gebäude hoch und gesichtlos. Der Charme dieses Stadtteils entzieht sich mir auf den ersten Blick, und für einen zweiten bleibt keine Zeit.
Wir setzen uns in ein angeblich französisches Café, das Alaska heißt, und im Mai noch weihnachtlich dekoriert ist. Frankreich wird in Korea mit gutem Gebäck in Verbindung gebracht. Gefühlt jeder zweite Sandwichshop wirbt für sich als “Boulangerie”.
Dafür geben sich Kneipen – in Korea gerne “Hof” genannt – deutsche Namen.
Ich trinke Apfeltee und knabbere an einem Stück Kuchen.
Chicken, Schnaps und Baseball
Am Abend gehen wir mit Freunden von Daniel aus. Er kennt sie aus seiner Sprachklasse: Chinesen, Japaner, eine Amerikanerin. Zuerst sitzen wir in einem Chicken-Lokal. Ich verstehe kein Wort, was gesprochen wird, und fühle mich wohl. Links neben mir sitzt eine hübsche Japanerin, die kaum Englisch spricht. Wir verstehen uns bestens, wir trinken.
Irgendwann ziehen wir weiter und machen nach ein paar Meter gleich wieder Halt: Baseballkäfige, als Abendunterhaltungen. Wir werden genötigt unser Glück zu versuchen. Ich hatte in meinem Leben noch nie einen Baseballschläger in der Hand. Dementsprechend sieht meine Trefferquote aus. Verblüffend schneidet Daniel um einiges besser ab. Ich denke wohl zu viel.
Wir landen noch in einer Kneipe: unsere Gruppe wird in eines der vielen Zimmer geführt, wir knien uns vor einem Tisch, bestellen – wie in Korea üblich – noch etwas zu essen und viel Alkohol. In der Ecke hängt ein Fernseher, auf dem grellfarbene Musikvideos laufen.
Der nächste Morgen: es verspricht, warm zu werden. Ich bin falsch eingekleidet, werde den ganzen Tag über schwitzen und: wo ist meine Sonnenbrille?
Hütten, Paläste und japanische Schurken
Die Touristenattraktionen Seouls stehen auf dem Programm. Der weitläufige Gyeongbokgung Palast, der liebliche Changdeokgung Palast und Bukchon, eines der ganz wenigen traditionellen Altstadtviertel – “hanok” genannt – mit kleinen Häusern und Gassen.
Der Garten des Changdeokgung Palastes ist zauberhaft. Eher Wald als Park, mit einzelnen Pavilions darin versteckt. Harmonie zwischen Natur und Menschen, und irgendwo draußen brummt die 10-Millionen-Metropole Seoul. Eine junge Fremdenführerin führt uns über die schattigen Wege. Wir sind eine große Gruppe, viele Amerikaner darunter. Gerne möchte ich verweilen, doch es geht immer weiter.
Es es heiß. Zu Mittag essen wir geeiste Nudelsuppe, gewürzt mit Essig. Eiswürfel schwimmen darin. Die Nudeln schneidet Daniel mit einer übergroßen Schere zurecht. Die Suppe erfrischt.
Auf dem breiten Boulevard, der hin zum Gyeongbokgung Palast und den sich dahinter erhebenden Hügeln führt, steht das mächtige Standbild des Admirals Yi Sun-sin. Kinder spielen in den Springbrunnen zu seinen Füßen.
Unter dem Admiral besuchen wir ein Gewölbe, welches ein Museum beheimatet. Und ein 3D-Kino. Geschichte wird erzählt. Der Admiral besiegt mit gerade mal 13 koreanischen Schiffen mehr als 300 japanische Kriegsschiffe. Das war 1597, und die Japaner im Film lachen böse.
Nicht weit entfernt: der Cheonggye, ein Stadtbach. Der war noch vor wenigen Jahren von einer Autobahn überbaut. Die Stadt ließ diese abreissen und das Wasser wieder freigelegt. Milliarden soll das gekostet haben, sagt der Lonely Planet. Heute flanieren die Seouler fröhlich den Bach entlang. Es schmeckt nach frischer Luft.
Blick über SEOUL und Ausgehen in Itaewon
In der Mitte der riesigen Stadt erhebt sich ein bewaldeter Hügel, der Namsan. Wir folgen dem langen Weg hinauf, wo sich der Fernsehturm erhebt, umgeben von Eisdielen, Fast Food und den weltweit so verbreiteten Love Locks. Es dämmert, wir fahren hinauf, und genießen den Blick über Seoul. Die Stadt ist nicht schön, doch atemberaubend.
Es geht weiter nach Itaewon. Hier tummeln sich die zahlreichen in Seoul stationierten US-Soldaten, und koreanische Mütter warnen ihre Söhne und Töchter vor diesem Viertel. Was es nur noch reizvoller macht.
Itaewon ist ranzig. Als einzige Ecke in Seoul, vielleicht als einzige Ecke im ganzen Land. Müll liegt auf der Straße, schlampiges Grafitti ist auf Häuserwände geschmiert. Die einzigen Graffiti, die ich in drei Wochen Südkorea und Japan sehen werde.
Wir essen Rindfleisch in einem Grilllokal, und später nochmals an einem Straßenstand. Gegrilltes und Frittiertes, was genau, kann ich kaum sagen.
Wir landen in einem amerikanischen GI-Schuppen, ausgekleidet mit dunklem Holz und den typischen Jack Daniels Blechschildern. Der Gin Tonic ist stark, dann weiter. Es brodelt in den Gassen, überall Menschen, Clubs, Kneipen, Bars. An der Straße stehen Zelte, in denen wieder etwas zu essen angeboten wird. Trinken, essen, feiern. Die Welt ist sich in manchem so ähnlich.
Ich hab genug für heute.
Morgen geht es raus in den Wald.
Nord und Süd – ein letzter Halt
Ein Halt noch. Wir sind aus der gut organisierten Wildnis Südkoreas zurück. Eine Nacht bleibt mir Seoul, am folgenden Morgen nehme ich den Zug nach Busan.
Das National War Memorial bleibt noch zu sehen. Das Gelände ist groß, viel altes Kriegsgerät steht herum. Denkmäler dazwischen. Eines fällt auf: zwei junge Männer, aus Bronze, die sich in die Arme fallen. Unter ihnen: ein Riss. Die gusseiserne Tafel darunter informiert, es seien zwei Brüder, die sich auf dem Schlachtfeld wieder treffen. Jeder für die andere Seite kämpfend.
Der Krieg und Nordkorea liegen spürbar auf dem Land. Die U-Bahnhöfe sind Luftschutzbunker, viele junge Soldaten laufen durch die Stadt. Schlaksig in ihren Uniformen, oft mit einem Mädchen in ihrem Arm.
Mein letzter Abend in Seoul endet in einer Karaoke-Bar.
–Mai 2013–
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Mehr über meine Japan & Korea Reise 2013 :
- Teil 1 – Korea & Japan: Das Vorspiel
- Teil 2 – Seoul: Jetlag
- Teil 3 – Seoul: So viel zu erleben
- Teil 4 – Der Seoraksan Nationalpark
- Teil 5 – Busan: Von Fischen, Bädern und Abenden voller Licht
- Teil 6 – Beomeosa: Kein Glück mit Buddha
- Intermezzo – Zu Tisch: Essen in Südkorea und Japan
gut geschriebener bericht der richtig lust macht auf eine reise nach seoul. DANKE.
Toller Bericht! Südkorea rückt in meiner Reisewunschliste nach vorne.
Danke!
Schön, dass Südkorea etwas weiter nach vorne rückt – das Land ist es echt wert!
(Und ich war auch viel zu kurz da … aber Japan musste ja auch noch sein.)