Ganz tief legten sich am Morgen noch die Regenwolken über die Hänge der Berge. Von den Alpen sah ich nicht viel auf Österreichs Autobahn. Ich erahnte sie, hoch neben mir, und fühlte mich klein.
Das WLAN im Fernbus funktionierte sporadisch. Ich las Murakami.
Genug Bücher hatte ich auf diese Reise ja in den Rucksack gepackt.
Der Himmel riss auf, das Land links und rechts war lieblicher, auf Hügeln standen kleine Dörfer mit putzigen Zwiebeltürmchen. Das war also Slowenien. Gerne wäre ich geblieben.
Kurzer Halt in Ljubljana. Noch ist das nicht mein Ziel. In einer Woche werde ich zurückkehren.
Die wunderbar-englischen jungen Backpacker auf den Sitzen vor mir stiegen aus, der Fahrer wechselte.
Weiter. Über die Grenze zu Kroatien. Man will meinen Ausweis noch sehen. Mich irritiert das. Grenzen scheinen mir immer unsinniger. In Europa sowieso.
Einfahrt in Zagreb lässt böses ahnen: weite Boulevards mit hässlichen, real-sozialistischen Blöcken links und rechts. Städtebauliche Ödnis. Hier will ich zwei Nächte bleiben? Der Zweifel sitzt in mir. Der Busbahnhof: ein osteuropäischer Basar. Gewusel und viel Stahlbeton. Acht Stunden Fahrt trennen von München.
Ich schulterte den Rucksack und suchte meinen Weg in die Innenstadt. Keine hundert Meter gehe ich, schon bin ich völlig überrascht.
Zagreb zeigt mir plötzlich eine ganz andere Seite.
Jetzt sitze ich in einem der zahllosen Straßencafés in der hübschen Altstadt, ein Stück Käsekuchen auf dem Teller vor mir. Überall Menschen, und so viel Leben.
Auf dem nahen und zentralen Ban-Jelacic-Platz stehen zahlreiche Zelte und eine Bühne. Man feiert ein “Vegetarian Festival”. Drumherum hohe Jugendstilbauten, die vorbeifahrenden Trambahnen bimmeln laut.
Ich steige die Gassen der Altstadt hinauf, die sich an den Hang eines hohen Hügels schmiegt. Die Häuschen sind adrett, man ahnt die reiche Geschichte dieser Stadt. Habsburg herrschte einst, was Architektur, manche Straßennamen und die reichhaltigen Süßspeisen noch heute zeigen.
Zagreb zeigt die besten Seiten dieses einstigen Vielvölkerreiches – allerdings ohne den Glanz und den überbordenden Prunk von Wien, Budapest oder Prag.
Touristen haben diesen Ort mittlerweile dennoch entdeckt, wenn auch nicht in erschlagenden Massen. Ein fröhliches Gemisch an Menschen zieht durch die Ivana Tkalcica, an der sich ein Lokal neben dem anderen reiht. Ich trinke Bier, das sich als recht süffig erweist.
Dann beginnt es zu regnen.
Auch am nächsten Morgen regnet es immer wieder. Ich streife über den bunten Markt – Zagrebs Gemüsekiste – und staune. So wie ich es häufig auf Märkten mit ihren Farben, Gerüchen, Eindrücken und Menschen tu.
Eher aus Jux führen mich meine Schritte zu dem ausgeschilderten Museum of Broken Relationships. Ich erwarte eine launige Touristenfalle. Wie das Sex Museum in Prag.
Stattdessen: erneut eine Überraschung – ein kleines, feines, verblüffend bewegendes Museum. Ein altes Kartenspiel, Gläser, Gedichte, ein Hochzeitskleid, eine Axt, Bücher, Schlüssel, Spielzeuge – sie erinnern an vergangene Beziehungen. An zerbrochene Herzen. Daneben erzählen Menschen ihre Geschichte in Briefen, die mich tief berühren.
Nachdem ich das Museum verlasse bin ich noch lange in Gedanken.
Ich spaziere durch Zagrebs schöne Straßen, sitze in Cafés, besuche den geschichtsreifen Mogoij-Friedhof, zu dem ich durch Wohngebiete hinauf gehen muss, und streife noch kurz vor Schluss durch den netten kleinen Botanischen Garten, über dem auch der Schatten Habsburgs liegt.
Zum Ende des Tages verirre ich mich in ein Kellerlokal direkt neben meinem so zentral gelegenen Hostel. Ich erwarte Touristen, und werde von lauter Einheimischen überrascht. Die Karte ist nur in Kroatisch, was ich irgendwie als positives Zeichen auslege, doch der Kellner spricht flüssig Englisch.
Die Küche sei bosnisch, heißt es. Und man rühmt sich mit den besten Cevapcici der Stadt.
Das will ich gerne glauben. Das Essen ist einfach und fantastisch.
Ich fühle mich wohl in Zagreb.
Eine schöne Stadt. Auf den zweiten Blick.
-September 2014-
- Mit dem IC BUS, BahnCard 25 und ein paar Wochen vorher gebuchten Spartarif kam ich für gerade mal 21,65 Euro von München nach Zagreb – ein Schnäppchen.
- Ich übernachtete im zentralgelegenen Hostel Shappy, und würde es wieder tun.
2 Kommentare zu „Zagreb: Überraschung auf den zweiten Blick“