Indien: Der Blick des Elefanten

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Ich habe vergessen den Elefanten zu fotografieren. 

Er stand direkt vor uns, nur wenige Meter entfernt! Ein mächtiger Bulle, der uns tief mustert. Wir blicken uns gegenseitig an. Das hier ist sein Revier, das ist sein Dschungel. Er ist frei und stolz und hier der Herr der Lage. Klein fühle ich mich ihm gegenüber … und dabei vergesse ich ihn zu fotografieren.
Dafür möchte ich mich fast ohrfeigen, denn wie häufig begegnet man schon einem wilden Elefanten?
Mir nur die Erinnerung an seinen Blick, der plötzlichen Stille und wie er sich schließlich von uns abwendet und seinen Weg fortsetzt.

Ungefährlich war die Situation nicht ganz.
Die Regenzeit ist gerade vorüber und die Elefantenbullen sind nun vollgepumpt mit Hormonen. Sie sind in der “Must”, da können sie sehr aggressiv und unberechenbar sein. Unser Guide scheucht uns streng und hektisch einen Hang hinauf, als wir den Bullen näher kommen sehen. 
Von einem Felsen aus begegnen sich dann unsere Blicke.

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Die Luft ist für uns wieder rein, wir wandern weiter durch den Dschungel des Wayanad Nationalparks, welcher sich entlang der Grenze von Kerala zu Karnataka erstreckt. Pfaue kreuzen unseren Weg und in den Bäumen turnen Affen. Der Dschungel hat seinen eigenen Klang. Ein Teppich aus Gezwitscher, Gefiepe, Gezirpe, Geschrei, singenden Vögeln und brummenden Insekten. Eine Grille beherrscht einen solch lauten und schmerzhaften Ton, der an eine Autoalarmanlage erinnert. Wir hören sie überall hier im Wald.
Der Guide führt uns auf einen Berg, und von dort hinunter in eine Felsenhöhle. Tausende Fledermäuse fliegen uns um die Ohren.

Am Abend sind wir zurück in unserer Lodge. Es gibt Chapati, Kartoffeln, Ei, Gurken, getrocknete Bananen. Wir Gäste sitzen auf der Terrasse, essen und unterhalten uns angeregt.
Neben Lars und mir ist da die Familie aus Sachsen. Die Eltern sprechen kein Wort Englisch und nur die Tochter kann übersetzen. Für ihren Mut – oder ist es Verwegenheit? oder etwas anderes? – muss ich sie irgendwie bewundern, ohne Sprachkenntnisse quer durch Indien zu reisen. 
Und da ist das ältere Ehepaar aus Edinburgh. Er ist gebürtiger Engländer, sie Irin. Auch sie besuchten an ihrem ersten Abend in Indien das selbe Lokal in Kochi wie wir. Die Welt ist sehr klein, selbst wenn man irgendwo im indischen Dschungel sitzt.
Spätabends kommt mit dem Taxi noch eine Gruppe junger deutscher Studenten.

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Ich bin müde. Ich verlasse den Tisch und schlage den kurzen Weg durch das Dickicht zu unserer Hütte ein, da pralle ich fast zurück.

Ich sehe den Himmel. Tiefschwarz ist er. Und übersät von Sternen.
Nein, von Diamanten. Ein Funkeln und Glitzern, ein Feuerwerk. Das ganze Universum enthüllt sich mir. Nie habe ich so viele Sterne gesehen. In den straßenlichtdurchfluteten Nächten Europas haben wir sie verloren …

Ich staune und fühle mich wie am Mittag, als mir der Bulle in die Augen blickte: klein. 
Und sehr dankbar für diesen Moment.

–November 2011–

Zu Indien, Teil 1: Ankommen
Zu Indien, Teil 2: Und der Regen fiel
Zu Indien, Teil 3: Mit Bus nach Süden
Zu Indien, Teil 4: An der Spitze
Zu Indien, Teil 5: Der Tuk-Tuk Fahrer am Wasserfall
Zu Indien, Teil 6: Fremd in der Tempel-Welt von Madurai
Zu Indien, Teil 7: Kälte, Münchner und Karusellfahrten
Zu Indien, Teil 8: Von Maharadschas, Kiffen und dem King of Bollywood

4 Kommentare zu „Indien: Der Blick des Elefanten

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