Mit einer Sache habe ich in Indien nicht gerechnet. Mit Kälte.
Die Einheimischen in Ooty tragen Pullover, Handschuhe und Wollmützen auf dem Kopf. Hier wird es kalt, der Ort liegt auf über 2.000 Metern in den Nilgiri Hills. Mir bleibt nur, mich zu verzwiebeln: ich trage mehrere T-Shirts übereinander, zum Schluss die einzige und leichte Jacke, die ich dabei habe. Es muss reichen.
Wir sind im Hochland Südindiens. Die Luft schmeckt nach Bergen, auch wenn keiner in die Höhe springt. Das Land ist sanft-wellig, es riecht nach Tee, Minze und Eukalyptus.
Zum Trekking schließen wir uns einer Gruppe an. Wir sind ein Dutzend Europäer. Welcher Zufall es auch immer will: die Hälfte ist aus München. Selbst der Engländer wohnt in Maxvorstadt, nahe der Uni. Da gibt’s ein paar nette Restaurants, Cafés und Geschäfte … daran werden wir plötzlich tausende Kilometer von der Heimat entfernt wieder erinnert. Wir können nicht anders.
An diesem Morgen ist der Himmel noch von hellem Blau. Wir wandern an einem Bauernhof vorbei, beglotzt von einer Wasserbüffelkuh. Wir durchqueren Eukalyptus-Haine (die Briten waren’s, die den Baum einst von Australien hierher brachten) und gelangen schließlich zu den weitläufigen Teeplantagen.
Die Büsche sind akkurat geschnitten. Wie ein gut gepflegter Garten mit kleinen Wegen wächst der Tee an den Hängen. Alles ist von bezaubernder Stille.
Mittags ziehen Wolken auf. In einem Bergdorf kehren wir in einem einfachen, kleinen Gasthaus ein. Nur ein Raum, mit zwei schlichten Holztischen. Wir bekommen ein gutes Dhal auf einem grünen Blatt Papier und essen der Sitte entsprechend mit der rechten Hand. Mittlerweile kann ich das ganz gut, am Anfang fiel mir das noch schwer. Doch so recht gewöhnen mag ich mich in den ganzen drei Wochen nicht dran.
Der Trekking-Guide führt unsere Gruppe weiter. Bis an den Rand des Hochlandes. Tief schneiden hier die Täler ein. Unter uns Wolken, Dörfer, Felder. Ein Hund, der uns vom Gasthaus gefolgt ist, schaut fast verwundert wirkend mit hinab. Und zwei Schotten hüpfen fröhlich wie waghalsig auf den Felsen der Schlucht herum.
Am nächsten Morgen wollen Lars und ich weiter. Bis der Bus fährt bleibt uns jedoch noch Zeit. Zeit genug, um am von den einstigen Kolonialherren angelegten Stausee den kleinen Freizeitpark Ootys zu besuchen. Ein Abenteuer. Dem TÜV würde es hier Tränen in die Augen treiben, und wir werden von den zahlreichen Schulkassen wieder eifrig mit den Handys fotografiert.
Zuerst wollen wir auf dem See rudern. Doch das geht nicht. Jedenfalls nicht selbst. Ruderboote gibt es nur mit Ruderer. Hier darf man nichts selbst machen. Doch wir wollen! Also entscheiden wir uns eben für ein Tretboot.
Dann besticht Lars den Betreiber des altersschwach aussehenden “Break Dance”-Karussells. Wir dürfen so lange fahren, wie wir wollen. Ich sitze in meiner Gondel. Das Karussell ächzt und stöhnt. Wie viele Minuten vergehen? Die ganze Welt verwischt vor meinen Augen. Ich spreche freundliche Drohungen in Richtung meines Reisepartners aus, er solle doch bitte den Operator wissen lassen, es sei nun mehr als genug. Dieser lächelt aber weiter vor sich hin, und lässt uns fahren.
Ein netter Mann.
Wir überleben’s.
–November 2011–
Zu Indien, Teil 1: Ankommen
Zu Indien, Teil 2: Und der Regen fiel
Zu Indien, Teil 3: Mit Bus nach Süden
Zu Indien, Teil 4: An der Spitze
Zu Indien, Teil 5: Der Tuk-Tuk Fahrer am Wasserfall
Zu Indien, Teil 6: Fremd in der Tempel-Welt von Madurai
4 Kommentare zu „Indien: Kälte, Hochland, Münchner und Karussellfahrten“