Indien: Ankommen

Ich laufe gegen eine Wand aus Hitze, schwer von Feuchtigkeit und unzähligen Gerüchen. Es trifft mich wie ein Schlag. 
Dem Schwarm aus Menschen und Gepäck entronnen, stehen wir nun vor diesem vor sich hinverfallenden Flughafengebäude. Indien.

Hatte ich je davon geträumt? Vorstellen konnte ich mir nichts unter diesem Land. Indien war mir stets zu fern, zu unbekannt. Nun bin ich hier. Es ist ein feucht-heißer Novembermorgen.

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Lars, mein Reisepartner, den ich noch kaum kenne und mit dem die Idee zu dieser Reise in der Bierlaune eines Nachmittags auf dem Oktoberfest entspann, kauft sich bei einem der fliegenden Händler eine indische SIM-Karte für sein iPhone. Ohne geht nicht.

Ein Taxi bringt uns in die nahe Stadt. Kühe stehen auf den Feldern, Palmen dahinter. Sie weichen schließlich Autohändler, Elektronikgeschäfte und schäbigen Büros, die sich links und rechts der staubigen wie überfüllten Straße reihen. Der Verkehr ist heftig. Trucks. Busse. Hunderte von Motorrädern. Auf einem sitzt eine ganze Familie: der Vater am Steuer, vor ihm eine Tochter, hinter ihm die Frau. An die klammert sich noch ein Kind.

Unser Taxifahrer überquert eine Brücke und biegt in die wirren Gassen Kochi’s ein. Die Stadt sei alt, steht im Reiseführer. Vor Jahrhunderten handelte man mit China. Dann kamen die Holländer, nach ihnen die Portugiesen. Heute wir.
An unserer Pension begrüßt uns herzlich die Herbergsmutter. Sie führt uns auf eine Terrasse und bietet uns diesen milchig-schweren, zuckrigen Tee an, den ich über die nächsten Woche so zu lieben lernen werde.

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Ein Blick über die Stadt: niedrige Häuser. Blumen. Palmen. Blauer Himmel. Alles voller kräftiger Farben. 
Indien hat Farben im Überfluss. Genauso wie Menschen, Müll, Bananen.
Die Anmeldeformalitäten nehmen wir gewissenhaft im Wohnzimmer der im Erdgeschoss liegenden Familienwohnung vor. Die Tochter schaut Cartoons, wie es Kinder überall in der Welt samstagmorgens tun. Über dem Fernseher blinken Lichter. Und Jesus lächelt sanftmütig wie für mich überraschend von zartrosa Hintergrund herab.
Die Müdigkeit übermannt uns endlich: die Zeitverschiebung, der lange Flug, die Tausend Eindrücke. Die Klimaanlage surrt.

Wir wachen auf, wie viele Stunden später?, und machen uns daran, gemeinsam mit einer jungen Französin, die wir in der Pension kennenlernen, die kleine, freundliche Stadt zu erkunden. Kochi wirkt entspannt. Wie un-indisch das ist, lerne ich bald. Doch noch nicht heute.

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Wir gehen an Händlern vorbei und an Fleischern in Bretterbuden. An offener Straße bieten sie noch blutige Ziegenschädel an. Die Häuser sind bunt getüncht, manchmal kommen wir an einer Kapelle vorbei, dann an einer Synagoge, schließlich zu einem alten, morschen Palast. Kochi strahlt dabei natürliche Gelassenheit aus.

Abends ertönt aus der von den Portugiesen errichteten Kathedrale eine Messe. Das Haus ist voll. Noch vor den Türen stehen Menschen. Ein gottesfürchtiges Volk. Dass es auch so Furcht vor diesem einen Gott haben könnte, das hatte ich nicht erwartet.

Wir gelangen ans Arabische Meer. “Chinesische Fischernetze” nennen sich die abenteuerlichen, leicht verfaulten Konstruktionen aus Holz und Seilen, die im Wasser stehen. Ein Geschenk Chinas seien diese gewesen, vor Jahrhunderten, für den guten Handel. Heißt es, laut Reiseführer.
Fischer bieten ihre frisch gefischten Fang daneben an. Gleich gegenüber kann man sich den Fisch auf der Stelle grillen lassen. Es riecht nach fischiger Geschäftstüchtigkeit. Hunde, Katzen und Krähen machen sich über die Reste her.

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Zu Sonnenuntergang promenieren hunderte Menschen das Ufer entlang, darunter Lars und ich. Etwa ein Meter hohe Tierfiguren, von denen die einst grelle Bemalung abblättert, säumen den Weg. Sie dienen als Mülltonnen. Ein gut gemeinter, vergeblicher Versuch.
Ein kleines Lokal, das nordindisch kocht, war uns empfohlen worden. Uns, und allen anderen Europäern in der Stadt. Nur Wirt und Wirtin sehen für uns indisch aus. Wir treffen alle unsere Sitznachbarn aus dem Flieger von heute morgen wieder. Wochen später werden wir noch schottische Rentner treffen, die ebenfalls hier gegessen haben. Das kann man dort auch sehr gut. Da hat der Lonely Planet recht. 
An der Fassade blinken wieder bunte Lichter.

So grell dieser erst Tag in Indien war, so tiefschwarz und schnell ist die hereinbrechende Nacht. Durch die jetzt noch stilleren Gassen gehen wir zurück zu unserer Pension, wo zumindest ich schnell in tiefen Schlaf falle.
In diesem fremden, noch unbekannten Land.

–November 2011–

9 Kommentare zu „Indien: Ankommen

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