Im Zug nach Montréal

Adirondack Railroad 1

Grau hängt der Himmel über dem Hudson Valley.
An den Hängen über dem Fluss kleben hier und da Herrenhäuser, Villen und kleine Paläste der Rockefellers und Vanderbilts von einst. Rückzugsorte für New Yorks Steinreiche.

Ich sitze im Zug nach Montréal. Es geht vorbei an Orten mit Namen wie Yonkers und Poughkeepsie. Durch mein Zugfenster hindurch wirkt Albany, Hauptstadt des Bundesstaates New York, auf mich traurig und kalt. Kein Ort, an dem ich gerne aussteigen möchte. Hier überquert der Zug den Hudson, dahinter: so viel Land.

Am Morgen stand ich noch im ständigen Strom an Menschen in New Yorks Penn Station.
Ein Gewusel. Lärm. Rollkoffer. Coffee-to-go.

Wenn ich jetzt aus dem Fenster blicke, dann sehe ich Einsamkeit. 
Gelegentlich wird sie von einer kleinen Ortschaft oder einer einzelnen Farm durchbrochen. Wer mag hier nur leben?

Wir passieren die Adirondack Mountains. 
Es ist Mai, und je weiter wir nach Norden kommen, umso mehr weicht das Grün der dichten Wälder links und rechts dem kahlen Geäst des letzten Winters.

Es ist bequem in meinem Sitz. Ich blicke hinaus oder lese. Ich fahre gerne mit der Bahn, mir gefällt das Erfahren von Entfernung und Zeit.
Immer wieder muss der Zug stehen bleiben. Weite Strecken sind nur eingleisig. Wir stehen dann in der Wildnis und lassen unbegreiflich lange Güterzüge vorbei. 
Für die etwa 650 Kilometer von New York nach Montréal brauchen wir fast 12 Stunden.

Adirondack Railroad 2

Meine Gedanken treiben. Ich träume, verliere mich in dieser Weite.
Der Himmel reisst auf, und wird unendlich blau. Wir kommen an einem gewaltig langen See vorbei. Eine Ewigkeit scheint er zu meiner Rechten zu liegen.

Dann wir das Land flach, wir halten zwischen Feldern, ich sehe die kanadische Flagge wehen.
Die zwei Grenzbeamten, die Passagier für Passagier die Pässe kontrollieren, sind freundlich. Sie fragen, was ich in Kanada will. Wann ich wieder abreise. Das Übliche. Ich bekomme einen Stempel.

Auf die letzten Stunden komme ich mit der jungen Frau links von mir ins Gespräch. Sie zog vor 3 Jahren aus dem Mittleren Westen nach New York, ihre Eltern stammen aus Indien, und sie besucht über das Wochenende eine Freundin in Montréal.

Mir fiel auf, wie sie während der Fahrt Fotos mit ihrem iPad und Telefon schoss; ihr fiel auf, wie ich das selbe mit meiner Spiegelreflex tat. Wir unterhalten uns über unser Leben, Reisen, New York, Politik, Religion, Sex. Laut Reiseführer hätte ich mindestens drei dieser Themen meiden sollen. 
Wir verstehen uns gut.

Adirondack Railroad 3

Dann unterbricht uns der Herr hinter uns.

Mit wunderbar-französischem Einschlag weist er uns darauf hin, dass gleich nach der nächsten Biegung die Skyline Montréals in Sicht käme.
Wir bedanken uns.
Und tatsächlich: der breite Sankt-Lorenz-Strom, dahinter Hochhäuser, der bewaldete Hügel Mont-Royal, ganz Montréal.
Wir sind da.

 

Informationen zur Zugverbindung:

Abfahrt morgens um 8:15 Uhr in New York, Penn Station.
Ankunft abends gegen 19 Uhr (großzügige Schätzung) am Gare Centrale in Montréal.

Ich hab früh gebucht und $ 75 für die einfache Fahrt gezahlt.

Weitere Informationen auf der deutschsprachigen Amtrak-Seite.

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